Luo Guangzhong, Die Drei Reiche

Man kann es schwerlich als zeitgenössische Dokumentation betrachten, was Luo Guanzhong, wahrscheinlich im 14. Jahrhundert zu Papier gebracht hatte, den die beschriebe Geschichte lag damals schon elf bis zwölf Jahrhunderte zurück. Doch auch der Autor des ältesten und größten chinesischen Romans ist genauso sagenumwoben wie sein legendäres Werk, das zu Ende der Yuan-Dynastie und in der frühen Ming-Zeit entstand. Woher er stammt ist weiterhin unklar, einige vermuten das nordchinesische Taiyuan, andere die Gegend um Shanghai als seine Heimat. Man nimmt an, dass der Autor die schon früher von verschiedenen Autoren geschriebenen Einzelgeschichten zusammengefasst und in einem Buch herausbrachte. Im 17. Jahrhundert hatte man die in einer älteren Fassung 240 Kapitel umfassende Geschichte auf die Hälfte reduziert.

Der Autor berichtet darin über die turbulente Zeit der Drei Reiche im 2. und 3 Jahrhundert. Nach wie vor gehört das Buch zu den populärsten chinesischen Romanen und gehört neben den im 16. und 18. Jahrhundert entstandenen Die Räuber vom Liang-Schan-Moor, Die Reise nach Westen und Der Traum der roten Kammer zu den vier klassischen Romanen. In der heroischen Epoche war das Reich zerfallen und der Kaiser hilflos. Alle Macht gehörte Generälen, Eunuchen, intriganten Witwen, genialen Strategen und todesmutigen Helden. Erst hundert Jahre später, nach zahllosen Schlachten und Feldzügen von der Mongolei bis nach Vietnam, war das große Reich wieder geeint.

Eine zentrale Handlung hat der Roman nicht, sondern bildet vielmehr ein großes historisches Gemälde aus Einzelepisoden. Ohne das Personenverzeichnis im Anhang, dass ich mir für die Lektüre kopiert hatte, wäre es ausgeschlossen, die immense Anzahl an handelnden Figuren im Auge zu behalten. Das Buch ist geprägt von politischen und militärischen Auseinandersetzungen, die voller Kriegslust und Strategie zu Staatsaffären, Intrigen, Schlachten und Scharmützeln führen.

Die Handlung deckt den Untergang der östlichen Han bis zur Entstehung der Drei Reiche ab, angefangen vom durch eine Agrarkrise ausgelösten Bauernaufstand der Gelben Turbane im Jahre 184, der die östliche Han-Dynastie erschütterte und dann wie eine Saga über rund 100 Jahre die Geschichte erzählt, wie am Hofe der Han Militärs die Macht an sich reißen.

Auch der verarmte Liu Bei gehört entfernt der Herrscherfamilie an und schließt einen Bruderschwur mit Zhang Fei und Guan Yu, da sie den Aufstand der Gelben Turbane bekämpfen und die Macht der Dynastie wiederherstellen wollen. Liu Beis und Sun Quans Armee besiegen schließlich im Jahre 208 den diktatorischen Usurpator Cao Cao in der Schlacht an der Roten Wand, woraufhin die Drei Reiche entstehen.

Der Roman basiert auf den gegen Ende des 3. Jahrhunderts verfassten Chroniken der Drei Reiche des Historikers Chen Shou, einem Teil der 24 Dynastiegeschichten, die die Geschichte Chinas über die Jahrtausende verzeichneten.

Noch nie gab es eine vollständige Übersetzung des Mammutwerks. Jetzt hat die 53-jährige Frankfurter Sinologin Eva Schestag, die Sprache und Literatur Chinas in München, Nanjing, Zürich und Taipeh studiert und an den Instituten für Sinologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt gelehrt hat, mit ihrer Übersetzung endlich die große Lücke in unserer Kenntnis über das Reich der Mitte geschlossen – mit einer lebendigen, spannenden, begeisternden Übersetzung in einer umfassend annotierten Ausgabe – eine große Entdeckung, die am 23. Februar 2017 herauskommt. .

Nach wie vor ist das Werk Lou Guanzhongs für die Chinesen von großer Bedeutung, wenn sie ihrer Heimat und deren Geschichte verstehen wollen. Oft nimmt man auf "Die Drei Reiche" in Monumentalfilmen, Fernsehserien und sogar in Videospielen Bezug. Mit einer gründlichen Lektüre der rund 1760 Seiten, die in zwei Bänden gebunden sind, die in einem Schmuckschuber stecken, eröffnet sich dem Leser die Faszination der gesamten Kultur Asiens.

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