The Russian Avant-Garde

Der vor über 100 Jahren in Moskau geborene und 1990 in Athen gesorbene George Costakis war ein griechischer Kunstsammler. Mehr noch - er war eine der wichtigsten Sammlerpersönlichkeiten des letzten Jahrhunderts, denn für ihn war das Sammeln von Kunst kein blosses Hobby, sondern eine Obsession. Sein Ziel war die Russische Avantgarde, denn mit ihr, mit den Bildern von Chagall. Malevich oder Kandinsky ging für ihn die Sonne auf.

Costakis Eltern stammten von der Insel Zakynthos und hatten sich als Kaufleute in Moskau niedergelassen, wo er in einem großbürgerlichen Umfeld aufwuchs. Nach der Revolution verlor die Familie einen Großteil ihres Besitzes, genoss jedoch weiterhin großes Ansehen. Wenngleich im elterlichen Haushalt nur wenige Kunstwerke hingen, entwickelte er ein frühes Interesse an Kunst. Auch im sowjetischen Russland war es möglich, Kunst zu besitzen und zu sammeln, so dass Costakis einerseits selbst sammelte, andererseits als Experte zahlreicher Meister angesehen war. Costakis war erst bei der griechischen Botschaft als Chauffeur tätig und arbeitete später für die britische und dann für die schwedische Botschaft, die ihm jedoch nur eine kostenlose Wohnung und einen diplomatischen Pass als Vergütung anboten. Er war also auf den Kunsthandel angewiesen und erwarb anfangs niederländische Meister und Werke von Picasso und Matisse. Ein achtlos weggeworfenes konstruktivistisches Bild von Olga Rozanova weckte 1946 sein Interesse an der Kunst der Avantgarde, die er aus Büchern und Erzählungen kannte. Im Westen blieb das Interesse meist auf Kandinsky und Chagall beschränkt. Bei Familien und Nachkommen der Avantgarde-Künstler suchte er deren Werke, kaufte sie und erforschte deren Kontext. Einen Chagall entdeckte er angenagelt als Ersatz für eine zerbrochene Fensterscheibe, die einzige erhaltene Installation von Rodschenko bereits zu Feuerholz zerkleinert. Ein Werk, das er von der Familie von Ljubow Popowa erwarb, durfte er erst mitnehmen, nachdem er auch eine gleichgroße Sperrholzplatte mitgebracht hatte. Manche der Künstler distanzierten sich von ihrem früheren Werk und wunderten sich über sein Interesse. Für einige Künstler war er die einzige Einkommensquelle. Von der Familie verlangte er große Opfer, um möglichst viele Kunstwerke zu retten. Das Auto wurde ebenso verkauft wie der Familienschmuck und der Pelzmantel. Seine teuerste Anschaffung war eines der 35 Werke von Kandinsky, die er besaß und das er für 600 Dollar kaufte. Eine Festanstellung in der kanadischen Botschaft verschaffte ihn dann bessere Möglichkeiten. In den 1960er Jahren wurde seine Wohnung ein Treffpunkt von Moskauer Intellektuellen und seine Sammlung erlangte Weltruhm und lockte viele Diplomaten, wie Edward Kennedy, David Rockefeller, aber auch Friedrich Wilhelm Christians von der Deutschen Bank, für den die Begegnung mit Costakis ein uslöser für die späteren Kulturaktivitäten der Bank wurde. Russland bezeichnete Costakis als "seine Mutter" und lehnte eine Ausreise wiederholt ab, bis sich Einbrüche in seiner Wohnung häuften und er um seine Sammlung bangte. Nach seiner Pensionierung entschied er sich deshalb, die Sowjetunion zu verlassen. Als Bedingung seiner Ausreise musste er die Hälfte seiner Sammlung zurücklassen, für die die Staatsgalerie moderner Kunst im Gorki-Park errichtet wurde. Heute befinden sich die Werke in der staatlichen Tretjakow-Galerie. Als er 1977 ausreiste, besaß er die größte Sammlung russischer Avantgarde-Kunst ausserhalb Russlands. Kein Museum besaß eine annähernd bedeutende Sammlung.Costakis starb 1990 in einer Mietwohnung in Athen. 1996 kaufte der griechische Staat die Sammlung von seinen Erben.

In der Dokumentation auf vier DVDs zeichnen die Macher nicht nur ein faszinierendes Porträt dieses fanatischen Sammlers sondern geben in Dokumentationen über Chagall, Malevich und Kandinsky einen sehr detaaillierten Einblick in das Schaffen der Russischen Avantgarde. Die innovative, vom Gegenstand befreite Kunst dieser drei großen Wegbereiter war, wie Malevich selbst formulierte: Revolution!

(c) Magazin Frankfurt, 2024