Wagner, Der Ring des Nibelungen, Staatsoper Wien

Nach seinem Wiener Debüt 2005 mit dem Parsifal und einigen Vorstellungen von Tristan und Isolde im Jahr 2009 kehrte Sir Simon Rattle ab Mitte Mai 2015 für einige Wochen ans Haus am Ring zurück, um zweimal Wagners Ring des Nibelungen zu dirigieren. Der zweite Ring-Zyklus vom 30. Mai bis 7. Juni wurde dabei auch live auf www.staatsoperlive.com übertragen. Für Wagnerianer bestand dabei die Möglichkeit, alle vier Livestreams des gesamten Zyklus als "Ring-Ticket" zum Sonderpreis von € 33.- (statt € 42.-) zu buchen. Kostenfrei wurde die Götterdämmerung bei Arte Concert übertragen und ist dort noch ein halbes Jahr verfügbar.

Rattle gehört ohne Frage zu den prägenden Dirigenten seiner Generation. Der Künstler aus Liverpool war auf seinem Weg nach oben auch Leiter des City of Birmingham Orchestra. Schon damals, hörte man aus dem Kreis der Berliner Philharmoniker, hatten sich vor allem die jüngeren Orchestermusiker Rattle als Nachfolger von Karajans gewünscht, doch sollte erst Claudio Abbado auf dem Posten des Chefdirigenten folgen, bevor Sir Simon das Amt 1999 übernahm. Das Orchester aus Birmingham mit seiner reichen Tradition hatte der Künstler wieder in die erste Liga zurückgebracht. Meist hatte er dafür ein weniger am gängigen Mainstream orientiertes Programm ausgewählt und konnte dafür auch seine Musiker begeistern, indem man ihm anmerkte, dass es ihm kein einfacher Job, sondern eine Herzensangelegenheit war. Es ist nicht immer leicht, diese Begeisterung vom Pult auch auf das Publikum im Saal zu übertragen, aber Rattle versteht auch das gut. Lange Jahre war er ab 2002 Österreich als künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele eng verbunden, bevor er mit seinem Orchester 2013 nach Baden-Baden wechselte.

Seine Karriere als Operndirigent begann 22-jährig in Glyndebourne, wo er der jüngste Dirigent überhaupt war. Den Graben der Wiener Staatsoper betrat er erstmals 2005, um drei Aufführungen des Parsifals zu übernehmen und vier Jahre später kam er für drei Aufführungen von Tristan und Isolde zurück. Alles Wagner also. Und so sollte es auch 2015 bleiben, wo er zweimal den Ring des Nibelungen-Zyklus dirigierte. Dabei hat er sich im Vorfeld auch Arbeit von Kollegen gründlich angeschaut. Bei Gesprächen ist Rattle meist hintergründig und schafft es verschmitzt unterhaltsam auch komplexe Fragen zu behandeln. Der „Zeit“ beantwortete er einst die Frage nach der Auswirkung der wagneriansichen Musik auf die menschliche Gesundheit und Befindlichkeit „Bei Wagner braucht man immer einen Psychiater, und in gewisser Weise macht er krank, ja. Früher oder später kommt man an den Punkt, dass man sich der narkotischen Wirkung seiner Musik, dem Rausch nicht mehr entziehen kann.“ Einmal äußerte er sich zur Walküre: „Wer weiß schon, wie oder was das Verhältnis zwischen Brünnhilde und Siegfried ist – außer illegal.“ Geprägt haben ihn beim Ring die Aufführungen von Boulez unter der Regie von Chéreau in Bayreuth. „Man muss einfach nur dem Rhythmus der Worte folgen, nicht schleppen, einfach die Geschichte erzählen".

Das tat er auch in Wien sehr gekonnt. Auch wenn Rattles Dirigat nicht bei allen Zuschauern auf positive Resonanz stieß und einzelne Buh-Rufe zu hören waren, konnte man vokal beim Ring am Ring nichts kritisieren. Sängerisch beeindruckte der in phänomenaler Form aufsingende US-Amerikaner Stephen Gould als Siegfried, dem man auch nach vier Stunden Auftritt bei den Nahaufnahmen der Live-Stream-Kameras keine Erschöpfung und Sangesunlust anzumerken war. Evelyn Herlitzius als Brünnhilde zeigte eine beeindruckende Bühnenpräsenz und kraftvolle Stimme. Bei der Walküre beeindruckte vor allem Michaela Schuster als Fricka, die Tomasz Koniezny in der Partie des Wotan keine Ausflüchte ließ. Christopher Ventris als Siegmund war zwar technisch einwandfrei, konnte sich aber gegen die starke Leistung Mikhail Petrenkos als Hunding und Martina Serafin als Sieglinde kaum behaupten.

Erstmals haben wir bei dieser Aufführung über die spezielle App angeschaut, die Wiener Staatsoper-Sponsor Samsung exklusiv für seine neueren Smart TVs geschaffen hat. Die Qualität der Übertragung übertraf deutlich den sonst über das Internet abgerufenen Live Stream. Kaum Aussetzer, fast keine Unterbrechungen. Was nach wie vor stört, ist die fehlende Untertitelung. Die Wiener Staatsoper bietet dafür zwar eine spezielle 2nd Screen-App an, mit der sowohl der Text wie auch die Partitur verfolgt werden können. Was für die Partitur noch Sinn macht, stört beim Text. Hier würden wir uns wünschen, dass die Wiener Staatsoper einen ähnlichen Weg wie die Bayrische Staatsoper bestreitet, die jedes Jahr sechs Oper- und Ballettaufführungen kostenfrei mit deutschen/englischen oder ohne Untertitel anbietet.

(c) Magazin Frankfurt, 2024