Barockes Oberschwaben in der Adventszeit

Mit üppigen Formen, lebendigen Farben und einer Architektur, die das Paradies auf die Erde holt, wirbt der Barock. In Oberschwaben ist er zu Hause und lässt den Betrachter vom Himmel auf Erden schwärmen. Nirgendwo sonst prägen so viele Zeugnisse barocker Baukunst eine Region - und barock ist auch die oberschwäbische Lebensart. Gerade in der Adventszeit, wenn die dunkle Welt in ein Lichtermeer getaucht wird, scheint Oberschwaben wieder wie verzaubert und ein wenig zurückversetzt in die damalige Zeit.

Wahrscheinlich ist der Barock gerade dann am schönsten zu erleben: in Bildern und Geschichten, in Handwerk und Musik, auf einem der charmanten Christkindlesmärkte oder beim Genuss barocker Schmankerl. Barock mit allen Sinnen erleben - ist in Oberschwaben eine Pflicht. Nilgün Burgucu berichtet davon in unserer Reiserubrik.

Das mittelalterliche Bad Waldsee

Bad Waldsee, die charmante oberschwäbische Kleinstadt wird geprägt durch ihren mittelalterlichen Stadtkern, die beiden Seen im Osten und Westen der Altstadt und die Kompetenz im Gesundheitsbereich. Rund 40 Kilometer nördlich vom Bodensee lockt sie nicht nur Sportfreunde mit dem großen fürstlichen Golf- und Vitalpark mit seinen 45 Löchern, zahlreichen Rad- und Wanderwegen rund um den Ort.

Eines der Ziele kann der Bahnhof Durlesbach sein, den manche aus dem Volkslied „Auf de schwäb´sche Eisebahne“ kennen.

Der Bad Waldseer Adventszauber

Ruft im Sommer das Altstadt- und Seenachtfest die Gäste, so ist es Anfang Dezember der Bad Waldseer Adventszauber. Überall funkelt dann rund um den 2. Advent weihnachtlicher Lichterschmuck, es duftet nach Zimt und Vanille, Bratwurst, Waffeln und Glühwein und Weihnachtsmusik erklingt auf allen Plätzen. Beim Bummel durch die festlich illuminierte Innenstadt, vorbei am im Glanz der Lichter erstrahlenden spätgotische Rathaus, den Kerzen vor den Geschäften gelangt man in einer traumhaften Atmosphäre zum Weihnachtsmarkt, wo er reichhaltiges Angebot in den schön geschmückten Pagodenzelten und Holzhütten zum Kauf verführt.

Marktbesucher können sich dort mit kleinen und großen Geschenken für Familie, Freunde und Kollegen eindecken und Anregungen für die heimische Weihnachtsdekoration sammeln. Eine "lebendige" Krippe mit Schafen und Esel ist eines der Highlights für die kleinen Besucher, die aber auch unter den Arkaden des Rathauses einem Kerzenzieher bei seiner Handwerkskunst zusehen können und - wenn sie es selbst einmal ausprobieren möchten - herzlich dazu eingeladen sind. Im Schaufenster des Buchladens wird ein Märchenerzähler weihnachtliche Geschichten vortragen.

Die Heimat des Bauernjörg

Ein gutes Angebot für Gäste des sonnigsten Kurort Deutschlands (2012) und sonnigsten Ort im Ländle, Baden-Württemberg (2013). Geschichtsfreunde können sich über die bewegten Geschichte Bad Waldsees informieren, von der das mittelalterliche Stadtambiente, die barocke Stiftskirche und das Waldseer Schloss zeugen, die an den berüchtigten Truchsess von Waldburg erinnern:

Georg III, dem bekannten Heerführer, der erst die Franzosen unter Franz I. in der Schlacht von Pavia vernichtend schlug und dann im Bauernkriegen sich einen Namen als Bauernschlächter machte, den Wilhelm Hauff in Lichtenstein ein literarisches Mahnmal setze.

Komfortable Waldsee-Therme

Heutzutage überzeugt der Ort als prädikatisiertes Moorheilbad und Kneippkurort mit seinem Gesundheitsangebot und ist einer von elf deutschen Kneipp-Premium-Class-Orten, der erholsamer Wohlfühlatmosphäre in den Hotels und der Waldsee-Therme verwöhnt. Das Wasser hat's in sich, es ist die heißeste Quelle Oberschwabens, deren fluorid- und schwefelhaltiges Thermalwasser in dieser Oase der Ruhe vor allem Rheumatikern Linderung verschafft.

Wer im Gesundheitszentrum Waldsee-Therme wohnt, hat besonders kurze Wege in die Therme und braucht meist nur den Bademantel.

Campingurlaub und Spätzlekochen

Besonders Freunden des Campingurlaubs ist der Name Hymer ein Begriff. Der Bad Waldseer Erwin Hymer arbeitete nach seinem Maschinenbaustudium erst bei Dornier, bevor er Ende der 50er-Jahre in den väterlichen Wagenbau einstieg und dort seinen ersten Wohnwagen baute und Hymer zu einem der führenden Hersteller von Campingmobilen machte. Vor einigen Jahren eröffnete das Erwin Hymer Museum, in dem man sich über den kulturhistorischen Hintergrund des mobilen Reisens informieren kann.

Feinschmecker verbinden mit Schwaben auch eine Reihe von Spezialitäten, wie Maultaschen und Spätzle. Das Bad Waldseer Spätzle Museum ist einzigartig in Deutschland und man kann dort lernen, wie sich im Laufe der Zeit die Spätzle Zubereitung verändert hat. Angefangen von Holzbrettern, von denen der Teig in das kochende Wasser geschabt wird, über die bekannten Spätzles-Drucker oder Spätzles-Hobel bis hin zur heutigen industriellen Fertigung.

Oberschwäbische Barockstrasse Bad Schussenried

Auf der Oberschwäbischen Barockstrasse geht es weiter in einer Viertelstunde weiter in den nächsten Kurort: Bad Schussenried. Der Ort wird dominiert durch die einstige barocke Prämonstratenser-Abtei.

Deren Highlight ist mit Sicherheit deren geistiges Zentrum, der festliche Bibliothekssaal, mit dem der Maler Franz Georg Hermann und der Bildhauer Fidelis Sporer nach Ideen des Abtes ein Juwel des Rokoko schufen. In manchen der Bücherschränke findet man Buchattrappen zur besseren einheitlichen Wirkung. Billd oben (c) Andreas Praefcke via Wikipedia.

Der fliegende Pater

In einer der Ecken des großen Deckenfreskos sieht man einen Geistlichen mit selbstgemachten Flügeln: Pater Caspar Mohr. Der trat schon in jungen Jahren in das Kloster in Schussenried ein, das ihn zum Theologiestudium nach Rom schickte. Der Ordenspriester hatte den Ruf als Universalgenie. Ob Maler, Schreiner, Schlosser, Schmied und Gärtner, ob hervorragender Musiker, Organist, Orgelbauer und Uhrmacher - Mohr konnte alles, doch vor allem seine Flugversuche machten ihn berühmt. Für die einen war es Gotteslästerung, für die anderen der Fortschritt. Die fußbetriebene Flugmaschine funktionierte durch Körperbewegung, die Flügel aus Gänsefedern auf den Rücken waren durch Schnüre mit den Füßen verbunden und mit Schlaufen hielt er sie an den Händen fest, damit er schwingen konnte wie ein Vogel. Doch der Abt verbot ihm den Sprung aus dem dritten Stock, doch es gibt Gerüchte, dass er es dennoch seine Flugversuche unternommen hat.

Im Kloster überwiegt die kritische Haltung gegenüber Mohr und nicht ohne Grund ist auf dem Fresko hinter dem Pater Dädalus abgebildet, der seinen Sohn Ikarus vergeblich vor den Gefahren des Fliegens warnte.

Das Kloster hatte einst eine große Bedeutung, denn zu Ende des 15. Jahrhunderts verfügte es über ein größeres Klostergebiet und wurde eine der Reichsabteien, die direkt dem Kaiser unterstand. Der Abt hatte den Rang eines Fürsten und richtete über Leben und Tod. Mehr als ein Kloster war es damals ein Zwergenstaat mit etwas mehr als 3200 Einwohnern in den umliegenden Dörfern.

Die schönste Dorfkirche der Welt

Auch Steinhausen gehört politisch zu Bad Schussenried. Die Wallfahrtskirche St. Petrus und Paulus gilt als die "schönste Dorfkirche der Welt" und war mit ihrem 75 m hohen Turm ein Auftrag des Schussenrieder Abtes an Dominikus Zimmermann, dessen Bruder Johann Baptist das lichtdurchflutete Innere mit Deckenfresken versah. Die Stuckaturen bieten einen bezaubernden Einblick in die heimische Flora und Fauna, eine Meisterleistung der Wessobrunner Werkschar.



Den danebenliegenden Gasthof Zur Linde (www.zur-linde-steinhausen.de) baute das Kloster gleich mit, denn schon früh verlief hier und durch viele andere der barocken Stätten der Region der oberschwäbische Teil des Jakobswegs nach Santiago de Compostela. Heute kocht dort Bernd Heinzelmann erstklassige Gerichte und manchmal auch barocke Speisen.

Biberach – Die Stadt Wielands

Auch die einstige Freie Reichsstadt Biberach an der Riß unterstand damals direkt dem Kaiser. Stolz blickt die Stadt auf ihren wohl berühmtesten Sohn zurück: Christoph Martin Wieland, einen der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Aufklärung und zusammen mit Herder, Schiller und Goethe Mitglied des klassischen Viergestirns von Weimar. Sein Vater war evangelischer Pfarrer in einem nahen Dorf und nach dem Umzug nach Biberach entwickelte sich der begabte Wieland schon früh zum Literaten. Das hübsche Gartenhaus zeigt, welche Bedeutung die Gartenkunst auf sein Leben und Werk hatte.

Es ist auch ein beliebter Ort für Trauungen. Der Schauraum beim Rathaus informiert multimedial über sein Leben. Einige Zeit wohnte Wieland auch im nahen Warthausen. Von dort fährt die historische Öchsle-Bahn am zweiten Adventswochenende zusammen mit dem Nikolaus und Knecht Ruprecht auf einer rund anderthalbstündige Fahrt mit dem historischen Dampfzug nach Maselheim und zurück, wo der Warthauser Weihnachtsmarkts auf die Adventsgäste wartet. Im alten Bahnhofsgebäude ist heute das Knopf-Museum zuhause, wo man viel über die Geschichte des praktischen Verschlusses findet. Die Reise nach Oberschwaben lohnt sich also auch in der Adventszeit.

(c) Magazin Frankfurt, 2024