Kulinarische Entdeckungen - Bayerische Voralpen

Zu Gast am Wettersteinmassiv

Ist der Weg das Ziel? Manchmal glaubt man es fast, wenn die Bahn entspannt ihrem Ziel entgegenrollt, durch Wälder und blühende Wiesen, vorbei an blauen Seen, gemütlichen Biergärten, das herrliche Bergpanorama der Alpen stets im Blick. Gerne nutzt nicht nur die Bahn diese Bilder, um im Ausland für einen Besuch Deutschlands per Bahn zu werben.

Der höchste deutsche ICE-Bahnhof

Doch dann wird man etwas besseren belehrt. Der Zug windet sich von Garmisch-Partenkirchen hinauf nach Klais, das stolz damit wirbt, den höchsten ICE-Bahnhof Deutschlands zu besitzen. Dort wartet schon der Shuttlebus. Auch eine jüngere Frau ist mit meinem Bummelzug aus München angekommen. Als wir uns miteinander bekannt machen, bleibt mir ihr Vorname Joy in Erinnerung. Sie käme gerade aus Portugal, von der Algarve, erzählt sie. Besser als hier sei das Wetter dort auch nicht, vielleicht ein wenig wärmer.

Sie habe dort ein 2-Sterne-Restaurant, erzählt sie mir und mir schwant, woher in Albufeira die Villa Joya, das „Haus der Freude“, seinen Namen hat, in dem der Österreicher Dieter Koschina seit Jahren eine der besten Küchen Portugals führt, die auf Platz 22 der weltbesten Restaurants geführt wird. Leider habe ich es noch nicht geschafft, dort vorbeizuschauen, zu weit liegt es vom normalen Kurs, doch seine Küche konnte ich schon auf der MS Europa genießen, wo der Meisterkoch hin und wieder beim Gourmetfestival aufkocht.

Ankunft im Kranzbach

Eine Privatstrasse führt von Klais den Berg hinauf ins Elmauer Tal. Gleich bei dessen Eingang begrüßt uns eine große Wiesenfläche und auch unser Ziel: Das Kranzbach. Das beeindruckende alte Schloss mit seinen gestaffelten Giebeln und den zwei kleinen Torhäuschen liegt auf rund 1.000 Metern Höhe am Rand einer 13 Hektar großen von Wald umgebenen sonnigen Bergwiese. Dieser Anblick fasziniert mich sicher genauso, wie seine Erbauerin Mary Portman. Vom neuen Hotel, dessen größter Teil sich dem Blick verborgen und unter der Auffahrt versteckt, bekommt man erst einmal nichts mit.

Mit einem Drink werden wir an der Rezeption freundlich willkommen geheißen. Die Zimmer seien bald fertig, wir mögen doch bitte solange kurz in der Lobby Platz nehmen.

Dort, mit Blick auf den kleinen Kräutergarten hinter dem Haus, hat man schon das Kuchenbuffet aufgebaut und zahlreiche Gäste können und wollen dem leckeren Angebot nicht widerstehen.

Binnen Minutensind die Anmeldeformulare erledigt und wir werden zu unseren Zimmern geführt. Die Sonne scheint durch die Glasfront zum Balkon. Vor meinem Fenster erstreckt sich die weite Liegewiese rund um den Pool mit zwei Wärmebecken an den Seiten. Und von links nach rechts erstreckte sich direkt vor meiner Nase im 180°-Panorama die bezaubernde Bergwelt vom zu Österreich gehörenden Karwendel bis hin zum Wetterstein-Gebirge mit der Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg.

Das Bergschloss der Mary Isabel Portman

"The Honourable" Mary Isabel Portman aus London war wohl auch von diesem Blick gefangen genommen. Sie war so etwas wie das schwarze Schaf ihrer reichen Familie, ein Attribut, das man gerne bekommt, wenn man einen eigenen Kopf hat und den auch durchsetzt. In London war damals die Zeit der Suffragetten, die sich recht kämpferisch für die Rechte der Frauen, besonders für das Frauenwahlrecht einsetzten. So kämpferisch brauchte sich Mary Isabel nicht zeigen, denn die Portmans konnten sich Sonderwünsche ihrer Tochter erlauben. Ihnen gehören einige Filetstücke in der London City, die ihr Ahn Henry als Oberster Richter des Landes unter Heinrich VIII. 1532 als Wiese erwarb und sein Nachfahre Henry gut 200 Jahre später rund um Portman Square, Baker und Oxford Street bebaute. Mit 36 Jahren hatte sich Mary Isabel so viel Unabhängigkeit erkämpft, dass man sie nicht in London festhielt und die attraktive Frau 1913 den Kaufvertrag über die "Kranzbachwiese bei Garmisch" unterzeichnete. Mary hatte in Leipzig Musik studiert und war eine talentierte Geigerin mit einer unglaublich wertvollen Violine, einer Guarneri del Gesù, die zu den begehrtesten Geigen der Welt zählen und schon mal für 10 bis 20 Millionen Dollar den Besitzer wechseln. Mary hatte zahlreiche berühmte Musiker als Freunde.

Eigentlich wirkt das Schloss ein bisschen fehl am Platz, denn die Pläne dafür lieferte ein bekanntes englisches Architekturbüro im Stil der sonst in Deutschland unbekannten englischen "Arts & Crafts" Bewegung.

Die Bergbauern rundum nannten es deshalb schnell das "Englische Schloss", da es mit seinen typischen Treppengiebeln mehr an die natursteingemauerten Country Houses in Schottland oder Irland erinnert. Natürlich durfte bei Mary ein riesiger privater Konzertsaal nicht fehlen. Doch leider kam ihrem Glück mit Ausblick auf die Bergwelt der 1. Weltkrieg dazwischen. Hotelchef Klaus King wirkt heute noch etwas betrübt, wenn er an diese Zeit zurückdenkt, die man akribisch recherchiert hat. Da Mary das Geld für den Bau aus England bekam, der Krieg die Auslandszahlungen stoppte und die Bauunternehmen ihr zustehendes Geld forderten, wanderte die junge Multimillionärin sogar für einige Tage ins Gefängnis. Für ihr Verhältnis des Kulturfans zum Land der Dichter und Denker war dies wenig förderlich. Es ist nicht bekannt, dass Mary nach Zahlung der Außenstände und der Fertigstellung des Hauses jemals dorthin zurückkehrte. 1931 verstirbt sie in der Schweiz. Was für ein Jammer!

In den Folgejahren diente es jungen Kunstmalern als Bleibe, um die Schönheit der Landschaft festzuhalten, dann kam der Film und drehte vor seiner Kulisse die Ganghofer-Verfilmung "Das Schweigen im Walde" und schließlich die Evangelische Kirche, die es von Marys Erben als Erholungs- und Freizeitstätte für junge Leute aus dem Ruhrgebiet pachteten und schließlich kauften. Der 2. Weltkrieg unterbrach diese Nutzung bis 1947. Erst war es Ziel der "Kinderlandverschickung", dann - nach dem verlorenen Krieg - Erholungshotel für US-Offiziere.

Dr. Edingers Trouvaille

Bis 2003 dümpelte das mehr und mehr heruntergekommene Gästehaus mit der schönen Aussicht vor sich hin, bis Ende 2003 Jakob Edinger vorbeikam. Der gerne aus dem Hintergrund agierende promovierte Touristiker, der eine Reihe eigener Hotels besitzt und auch andere Hotels berät, wollte eigentlich auf einer Wanderung mit seinem Hund im damals noch nicht zum Luxusresort umgebauten Schloss Elmau übernachten, doch verweigerte man seinem Hund dort den Zutritt und er musste weiterwandern. Auch die damaligen Gastgeber des Kranzbach waren anfangs nicht erpicht auf den Mann mit Hund, gaben ihm dann aber die große Suite und sorgten so dafür, dass er sich in die alten Mauern verliebte, es aus der Konkursmasse von der Kirche erwarb und in den folgenden Jahren mit immensen Aufwand in eines der schönsten und besten Wellnesshotels Deutschlands verwandelte.

Für Edinger war es ein fortwährender Kampf mit den Behörden, die strenge Auflagen für den Bau machten. Letztendlich löste er und seine Architekten das Problem, indem sie das Schloss zusammen mit den Torhäusern als Solitär in seiner alten Außenform beließen, die Zimmer des Gartenflügels und die Tiefgarage unter der davor liegenden Wiese versteckten. Während der Restaurantbau mit weiteren Zimmern alles miteinander verband, entstand am Abhang ein Badehaus mit Wellnesseinrichtungen auf mehreren Etagen.

Das Interior Design des Hauptgebäudes wurde von Ilse Crawford aus London entwickelt. Die selbstbewusste Designerin hatte beim Vertragsabschluss klare Fronten geschaffen: keine Begrenzung beim Budget und keine Einmischung bei ihrer Arbeit. Die meisten anderen Hoteliers hätten da vermutlich freundlich abgewinkt, doch Jakob Edinger, der auch einige andere Ideen, die er sich in den Kopf gesetzt hat, mit einem für Buchhalter befremdlichen Stoizismus verfolgt, willigte ein.

Sind die Zimmer im Gartenflügel ganz durch warme natürliche Materialien geprägt mit Holztäfelung und Badezimmer mit Glasfront, privatem Balkon oder Terrasse und herrlichen, freien Blick in die Natur, zeichnen sich die Zimmer und Suiten des denkmalgeschützten Mary Portman House durch ihre individuelle Einrichtung mit einem bunten Mix aus Möbelklassikern, besonders aber durch vom Plüsch entstaubtes Design und mit fetten Hummeln bemalte Tapeten aus. Hier trifft Tradition auf Moderne und geht eine bezaubernde Liaison ein.

Auch die ineinander übergehenden Salons, durch die man in die Bar gelangt, zeichnen sich durch Ilse Crawfords Stil aus. Wer mag, kann im Games Room eine Runde Schach, Mühle oder Backgammon spielen. „Those who play together, stay together“ steht am Eingang. Allen gemein ist die unglaubliche Ruhe. Wenn ich diese nur als Großstädter empfunden hätte, wäre es nachvollziehbar, doch da ich jetzt in absolut ruhiger ländlicher Umgebung ohne Flugverkehr, Autobahn und Eisenbahn lebe, weiß ich wovon ich spreche, denn ich habe weiterhin Nachbarn, die meine Ruhe gefährden.

Zwar sind in der Woche mehr ältere Gäste im Hotel, doch wird dies an den Wochenende aufgelockert durch zahlreiche Jüngere, die eine kurze Auszeit in dem herrlichen Spa-Resort nehmen. Nach München sind es ja nach Verkehr eine bis anderthalb Stunden Fahrt, bis ins nahe Klais fährt sogar der ICE. Man kann das Sightsleeping Hotel ohne Zweifel als eines der gelungensten Hideaways der Alpen bezeichnen.

Das Kranzbach hat keine Nachbarn, denn Mary Portman kaufte frühzeitig einen großen Grundbesitz. Auch Busgruppen sucht man hier vergebens, denn Hausherr Klaus King legt Wert darauf, dass sein Hotel nicht in den gängigen Katalogen auftaucht. Sehr wohl findet man es im Sightsleeper Prospekt von Bayern Tourismus, die so Urlaub für Augenmenschen propagieren. Inzwischen kenne ich zahlreiche davon, doch Das Kranzbach zeichnet sich nicht nur durch das traumhafte Herrenhaus, das Wellnessangebot und die Ruhe aus, sondern besonders durch die kleinen Aufmerksamkeiten, die man dem Gast während seines Aufenthalts entgegenbringt und mit denen er nicht rechnet.

Den Tag genießen im Badehaus

Auch im Herbst macht es Spaß mit der aufgehenden Sonne das herrliche Bergpanorama zu betrachten. Bei der ersten Tasse Kaffee mit dem guten Wasser der hoteleigenen Quelle auf dem Balkon fällt der Blick auf den dampfenden Pool, der gerade von seiner schützenden Nachtplane befreit wurde. Der über der Wise hängende Nebel vermischt sich damit perfekt und man möchte sofort die Kamera auspacken, um die einzigartige Stimmung festzuhalten. Auch bei offenem Fenster hört man keinen Ton, es sei denn man hat ein Zimmer zum Wald hin und erfreut sich an den abendlichen Brunftrufen der Hirsche.

Mancher Genießer hat sich dann schon in den Bademantel verkrochen, ist ein paar Runden geschwommen und hält bei einer Tasse Tee aus der Kräuter- und Blumenpracht der Frühlingswiese, die Dallmayr eigens für das Kranzbach herstellt, die Erlebnisse im Tagebuch fest. Die Luft ist hier auf 1.000 Metern noch kühl, während im Pool angenehme 30° C herrschen. Im Sommer kann man sich dann ins eigene Separee zurückziehen, dass der Gärtner mit gerade genug Platz für die Liegen und den Sonnenschirm in die hüfthohe Sommerwiese geschnitten hat, im Winter ist alles weiß eingeschneit und die Langlaufloipe verläuft nebenan.

Platz und genügend Liegen hat der Gast auf alle Fälle genug, betont Klaus King und könnte auch noch seinen Mitarbeitern eine Liege anbieten, wenn es sein müsste. Immer wieder käme es vor, dass Gäste wegen schlechter Erfahrungen andernorts zweifeln. Dann kann King ganz nonchalant anbieten, die Rechnung zu übernehmen.

In die Gefahr, dass man dies einfordern könnte, kommt er selbst bei Vollauslastung des Hotels nicht. Überhaupt bietet das Badehaus ein breites Angebot an.

Puristen reicht es vielleicht auf der riesigen Liegewiese zu liegen, die frische Luft einzuatmen, die nahen aber nicht erdrückenden Berge zu betrachten und gelegentlich seinen Sprung in den Pool oder eines der beiden 36°C warmen Sitzbäder mit Massagedüsen zu machen. Viele Wellnessfans nutzen aber die zahlreichen Saunen und Dampfbäder, die über die Etagen des Baus verteilt sind. Für uns Männer gibt’s das zwar nicht, doch die Damen können im Lady’s Spa unter sich bleiben. Zauberhaft ist die Aussicht, die man über das Tal zum Karwendel-Massiv genießt. Ohne Einsicht von außen liegt da das ganze Alpenmassiv hinter den raumhohen Panoramafenstern vor einem ausgebreitet und in der Baumwipfel Sauna kann man sich sogar in einem Holzsessel am Fenster gemütlich machen. FKK-Anhänger steht ein Teil der uneinsehbaren Dachterrasse des Badehauses zur Verfügung. Auf dem Rest hat King Solaranlagen anbringen lassen, die das Badehaus komplett versorgen.

Im Winter warten Ruheräume mit Kamin auf den Gast. Obst und frisches Quellwasser steht vielerorts bereit und wer mag kann seinen Körper im Fitness Center trainieren oder im Basement mit einem breiten Angebot von Massagen, Detox- und Beauty-Behandlungen verwöhnen lassen. Mancher Gast verbringt so den ganzen Tag, nur unterbrochen von kurzen Besuchen des kleinen Bistros im Badehaus, wo man sich wieder stärken kann.

Die Feinen Privathotels

Viel Zeit hat Klaus King nicht für uns, denn meine Mitfahrerin bei der Anreise ist Teil einer kleinen Gruppe von Kollegen aus anderen Feinen Privathotels, wie der Sonne Frankenberg , dem Schlosshotel Kronberg, dem Lois C. Jacob und dem Fährhaus Sylt am Munkmarscher Yachthafen. Viele davon hatte ich im Laufe der Jahre schon besuchen können. Mit den elitären Großseglern Seacloud und Seacloud 2 sind auch zwei schwimmende Luxusherbergen dabei. Fast alle diese Hotels eint eine erstklassige, oft mit einem oder zwei Michelin-Sternen gekrönte Küche. Beim Kranzbach muss sich diese mit dem jungen Küchenchef, der erst im August die Küchenleitung übernommen hat, noch bestätigen.

Ein echter Hingucker ist Ilse Crawfords teils skurrile Einrichtung.

Ob die überdimensionierte Schreibtischlampe im Blauen Salon, das kuschelige Spielzimmer mit extra ausgewählten Sesseln und Lampen, der gelbe Salon mit seinen amorphen Lampen oder die anheimelnde Bar, die förmlich zu langen Apres Ski-Gesprächen einlädt. Überall sorgen Kamine für die nötige Wohlfühlwärme.

Wer lieber für sich ist, hat im Torhaus ein liebevoll renoviertes denkmalgeschütztes Kleinod. 2012 hat man das kleine englische Landhaus ganz stylisch mit zwei Schlafzimmern, Wohnzimmer mit Kamin, Terrasse und kleiner Küche wieder zugänglich gemacht. Doch keine Angst, auch wenn draußen ein Schneesturm wütet, kommt man durch den unterirdischen Verbindungsgang direkt ins Hotel und ins Badehaus.

Die Gastronomie des Kranzbach

Anders als Nachbar Schloss Elmau, mit seinen diversen Restaurants, wo Mario Corti und Mario Paecke im Luce d’Oro Sterneküche anbieten, die auch Nicht-Hotelgästen genießen können, hat Klaus King, einst in Lindau Deutschland jüngster Sternekoch, im Kranzbach auf Gourmetküche verzichtet. Dafür bietet das Hotel seinen Gästen eine Superior-Halbpension. Das große aber angenehm unterteilte Restaurant steht ausschließlich den bis zu 235 Gästen des Resorts zur Verfügung. Nach dem ausgezeichneten Frühstücksbüffet, das wohl kaum einen Wunsch offen lässt, stillt mittags eine „light lunch“ mit zwei Auswahlsuppen und kleinem Salatbuffet den kleinen Hunger. Damit niemand bis zum Abendessen darben muss steht dann aber am Nachmittag auch eine Auswahl an Kuchen und Strudel bereit. Recht anspruchsvoll ist das abendliche viergängige Auswahlmenü mit vielen regionalen Spezialitäten beim Fisch und Fleisch und immer gibt es dazu auch eine vegetarische Variante, die man ganz nach Gusto ordern kann - aber bei der Größe kann man natürlich keine Gourmetküche erwarten.

Alle Gerichte werden dabei in der Küche von dem jungen Thüringer Robert Schappach und seinem Team frisch zubereitet. Schappach ist dabei ein Freund des schonenden Niedrigtemperaturgarens, bei dem das ohnehin zarte Fleisch saftig und rosa bleibt. Damit das Warten nicht zu lang wird, steht ein erstklassiges Salat- und Käsebüffet bereit.

Der allabendliche Menüplan ist recht ambitioniert und die Küche bemüht sich redlich auch Sonderwünsche zu erfüllen. Bei der Weinauswahl geht man auf Nummer sicher und hat beherzt aus der Liste eines großen Bonner Weinhändler bekannte Weingüter herausgegriffen, die teils mit ihren hochpreisigen Topweinen, teils mit ihrem Basisangebot die Nachfrage bedienen. Meist begleitet eine Weinempfehlung die Gerichte der Abendkarte, die aber nicht immer überzeugt.

Alles nur Käse

Das bereits erwähnte Käsebüffet überzeugt hingegen vollends. Jeden steht morgens und am Abend eine abwechselnde Auswahl von bis zu 30 verschiedenen Käsesorten in den Käsekästen zur Wahl. Dabei sollte für jeden Geschmack etwas vorhanden sein. Der Schwerpunkt liegt auf dem Alpenraum, doch man findet auch etliche französische Käse vom Frisch- bis zum Hartkäse.

Einige ihrer Hartkäse bezieht das Kranzbach aus dem Allgäu. Ein Genuss sind die Bergkäse von Jamei Laibspeis‘. „Guter Käs‘ braucht Gefühl und Zeit“ sagt Thomas Breckle. Der Endvierziger und begeisterte Mountainbike-Fahrer ist einer der Handvoll Käse-Affineure Deutschlands. Die kleine Gilde verfeinert und veredelt Rohmilchkäse, den sie von deren Erzeugern kaufen. Dabei gehen einige Kollegen von Breckle eigene Wege, indem sie den Käse mit Kräutern, Gewürzen oder sonstigen Zutaten verfeinern. Für ihn kommen solche Moden nicht in Frage. Hier ist es nur der Käse und die Zeit.

Dafür sind er und sein Partner Martin Rössle oft mit dem Mountainbike unterwegs zu ihren Lieferanten auf den Almen, wo sie den jungen Käse verkosten und die besten Käse mit dem richtigen Gespür kaufen und später in Kempten im früheren Eiskeller einer Klosterbrauerei lagern. Anfangs war das gar nicht einfach, denn die kritischen Senner waren skeptisch und verstanden nicht, warum jemand so einen beschwerlichen Weg auf die Alp auf sich nahm und dann auch noch mehr für den Käse zahlen wollte, als die bisherigen Abnehmer. Als Breckle dann aber das Geld auf den Tisch legte und sagte, er hole den Käse im Herbst ab, war man schnell handelseinig. Über tausend der großen Käselaiber ruhen dort im Dunkeln, bei gleichbleibend niedriger Temperatur von 10° C und hoher Luftfeuchtigkeit von 99%, bis sie ihr Optimum erreichen. Das brauche Zeit, meint Rössle. „Manchmal reifen sie bis zu fünf Jahren.“ In dieser Zeit kann so ein über 30 Kilo schwerer runder Laib seine eigenen Wege gehen. Wenn das Duo nicht aufpasst ist er schnell zu alt und trocken. Doch bis dahin durchlebt er verschiedene Reifestadien von der vollen cremigen Saftigkeit über die Bildung feiner Knusperkristallen bis hin zum Alterszustand mit einer staken Karamellnote. Zuvor zeigt er jedoch feine Frucht- und Gewürzaromen.

Im Prinzip braucht man dazu kaum mehr als eine gutes Glas Wein, wie beispielsweise Alois Lageders Fòrra Bianco, dann ist der Käse ein Genuss.

Einmal in der Woche werden die Käse mit Wein, dem aus Göttingen stammenden Louisenhaller Salz (das man wie den Käse bei Manufactum bekommt) und Wasser geschmiert und von den Käsespezialisten begutachtet. Einige Käse, wie die Schwarze Mamba oder der Zungenbrecher Sbrinz, ein an den Parmesan erinnernder extraharter Käse aus der Innerschweiz, schmecken unglaublich lecker.

Käse ist nicht die einzige Leidenschaft Breckles. Früher war er im Kader der deutschen Skilanglauf-Nationalmannschaft, arbeitete als Bergführer an den höchsten Gipfeln der Alpen und der Anden, wie dem Matterhorn oder dem Cotopaxi in Ecuador. Als wir ihn im Kranzbach treffen, ist er gerade vom Allgäu mit dem Mountainbike angeradelt.

Für die beiden Käseliebhaber bindet die lange Lagerung jede Menge Kapital, doch das sportbegeisterte Duo geht da keine Kompromisse ein, spielt aber derzeit mit dem Gedanken auch einen weniger zeitintensiven Weichkäse ins Angebot aufzunehmen. Neben einem kleinen Lädchen im Herzen Kemptens, in dem sie dreimal in der Woche halbtags ihre Käse anbieten, findet man sie auf dem Woichenmarkt in Freiburg und im alle zwei Wochen in Murnau und im hohen Norden, wo sie aus einer umgebauten Seilbahngondel heraus auf Wochenmärkten die Hamburger versorgen.

Viele Hanseaten sind begeistert, wenn einer der beiden dort die riesigen Käselaibe anschneidet, die sie inzwischen per Spedition in den Norden transportieren lassen. Der Käse ist selbst in Kemtpen nicht billig, doch er ist sein Geld allemal wert, da er unvergleichlich nach den Bergwiesen ihrer Heimat schmeckt. Dabei braucht es nicht unbedingt fünf Jahre, damit der Käse schmeckt, einige davon sind schon nach gut anderthalb Jahren optimal und wenn man sie dann im Winter genießt, fühlt man sich wie durch einen Zeittunnel quasi in Sommer auf der Alpsennerei gezogen. Doch Breckle kennt sich aus. Wenn die Kühe auf der Alp nach dem Heu im Winter das erste Mal wieder frisches Gras fressen, sei die Milch für Käse nicht zu gebrauchen. „Die Kühe flippen dann aus“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.

Solche kleinen Spezialitäten wie die ausgesuchten Käse sind für Klaus King wichtig. Bei der relativ geringen Produktionsmenge von Jamei Laibspeis‘ ist er, neben der Sonnenalp in Breckles Heimatort Ofterschwang, einer der wenigen größeren Abnehmer, die Breckle und Rössle mit rund 25 Kilo Käse pro Woche beliefern.

Naturreiner Berghonig

Eine andere Spezialität ist der Berghonig, den er seinen Gästen anbietet. Zwar sind viele begeistert von der Honigwabe auf dem Frühstücksbüffet, doch die kommt aus dem tiefer gelegenen Alpenvorland bei Weilheim. Das Highlight am Frühstücksbüffet steht dort in ganz banalen Gläsern. Es stammt von den rund 60 Bienenvölkern der Familie Leismüller, die etwas oberhalb des Kranzbacher Waldes ausschwirren. Hauptberuflich sind die Leismüllers bayrische Berufsjäger. „Nicht ein Beruf, sondern eine Berufung“ beschreiben sie selbst ihr Berufsbild. Zuständig für die Wildtiere und deren Lebensraum.

Als im Juni 2015 die Führer der Welt sich zum G7-Treffen im nahen Schloss Elmau trafen, dessen Hausherr Dietmar Müller-Elmau solchen Trubel sucht, hatte es auch in ihrem Revier für Unruhe gesorgt. Zuvor wurden mehrere Millionen Euro in Bauprojekte investiert, die Privatstrasse asphaltiert, Glasfaserkabel verlegt und die Feuerwehr modernisiert. Allein die Gemeinde Krün investierte rund 10,5 Millionen Euro. Auf den Straßen wurden die Gullideckel verplombt, frühzeitig alle Wege abgesperrt, ein mehrere Kilometer langer Sicherheitszaun errichtet und Tausende Militärs, Polizisten und Scharfschützen auf den Berghütten, Straßen und in den Wäldern postiert. Auch das Kranzbach hatte man damals einbezogen, denn anderen Gästen wäre die Anreise versagt geblieben. Mitarbeiter des Hotels wurden dort quasi kaserniert und als die Leismüllers sich um ihre Bienen kümmern mussten, war dies nur mit schriftlicher Genehmigung und unter Aufsicht der Polizei möglich, die sie zu den Bienenstöcken fuhren und skeptisch beobachteten. Nötig, sagt Leismüller sei so viel Spektakel nicht gewesen. Während die Bundesregierung bei den Demonstrationen stets vom Worst Case ausging, hatte die meist aus den Großstädten angereisten Demonstranten schon die ungewohnte Topografie der Voralpen schachmatt gesetzt.

Während Müller-Elmau das G7-Treffen als willkommene Werbung für sein Luxushotel betrachtete, hielten sich Edinger und King diskret zurück. Zwar verheimlicht man nicht, dass beispielsweise UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon oder Währungsfond-Chefin Christine Lagarde Gäste des Hotels waren, doch hängt man es auch nicht an die große Glocke.

Dieses Understatement, welches das Kranzbach zu einer Art Gegenentwurf zum protzigen Schloss Elmau machen, haben auch viele von dessen früheren Stammgästen abgeworben, die Müller-Elmaus rigorose Umwandlung des Hotels in ein stylisches Ultra-Luxus-Resort in den letzten 20 Jahren nicht folgen wollten. Viele davon sind heute Stammgäste des Kranzbach und freuen sich auf ein Wiedersehen mit alten Freunden und Bekannten, wenn das Kranzbach regelmäßig zu seinen Stammgästewochen einlädt – für Paare und Einzelreisende getrennt. Manchmal hat man dann sogar die Chance im Restaurant richtig gut auf Sterneniveau zu essen. In diesem Jahr erwartet man Harald Wohlfahrt als Gastkoch.

Doch zurück zum Honig. Anders als im 450 Meter tiefer gelegenen Weilheim ist der Ertrag der Bienenvölker auf über 1000 Metern Höhe vergleichsweis gering, denn die Bienen benötigen eine Mindesttemperatur von rund 15° C um außerhalb des Bienenstocks aktiv zu werden. Die Leismüllers sind sich sicher, dass sich der Minderertrag lohnt und sie dafür den reinsten Honig Deutschlands produziere, denn genmanipulierte Pflanzen und mit Pestizid gespritzten Raps sucht man hier oben vergeblich. Von naturgeschützten Wiesen und Wäldern im Umkreis bringen die Bienen unbelasteten Honig zurück und Leismüller sen. kann mit einer Laboranlayse belegen, welche Alpenpflanzenpollen in seinem Blütenhonig vorhanden sind. Das liest sich dann wie ein Querschnitt von „Was blüht denn da“. Auch geschmacklich spürt man den Unterschied zu dem Honig aus dem Alpenvorland, denn er brennt nicht beim Abgang, sondern ist fruchtiger und deutlich milder.

Unverständnis zeigt Leismüller für den Brauch Honig in den Tee oder die heiße Milch einzurühren. „Wenn man den Honig über 35 Grad erhitzt, vernichtet man die darin enthaltenen Enzyme“. Damit ist die erhoffte antibiotische Wirkung vertan. Den Honig liefern die Leismüllers übrigens exklusiv an das Kranzbach, für einen Verkauf sei die Produktion zu gering.

Der Herr der 70 Brote

Der Honig passt vorzüglich zum Brot, für das Edinger 2015 den Baiersbronner Bäcker- und Konditormeister Eberhard Holz gewinnen konnte. Als er dem früheren Bäcker-Europameister und „Hoflieferanten“ zahlreicher deutscher Sterneköche beim Restaurant eine eigene Profi-Bäckerei mit Schokoladen-Manufaktur einrichtete, verzichtete der umtriebige Schwabe erst einmal auf den verdienten Ruhestand und ist viel öfter in der Backstube, als er vertraglich eigentlich sein müsste. Rund 70 unterschiedliche Brotsorten, Brötchen. Croissants, Brezeln etc. findet man auf einer Seite des Frühstücksbüffets. Die Schokolade, die Holz schöpft ist köstlich, pur oder mit eingearbeiteten Nüssen und Körnern. Kaum einer der Gäste geht abends am Ausgang des Restaurants an dem Tischchen mit der Schokolade vorbei, ohne sich bedient zu haben. Der schlagfertige und weitgereiste Bäcker hat auch andernorts Aufbauhilfe in Sachen Backen geleistet – zum Beispiel im russischen Wolgograd, das vielen Deutschen unter dem Namen Stalingrad noch in Erinnerung ist.

Dort hat er mit Bäckern und Metzgern aus seiner Heimat und Studenten der Agraruniversität, die freudig bei ihnen lernten, einen Weihnachtsmarkt auf die Beine gestellt. Als Angela Merkel ihn dort mit Wladimir Putin besuchte, nutzte er die Bundeskanzlerin couragiert als Dolmetscherin. Jetzt backt er zu Weihnachten mit den Hotelgästen Plätzchen.

Irgendwann ist es dann wieder Zeit abzureisen. Wer keine so weite Reise hat, kann nach dem Check-Out übrigens den Tag noch im Badehaus verbringen. Die meisten Gäste nehmen dieses großzügige Angebot gerne an. Der Shuttle zum Bahnhof steht dann schon bereit und mit der Bahn geht es zurück in die Stadt. Man kann die vielen Stammgäste gut verstehen, die immer wieder gerne zurückkommen.

MR

(c) Magazin Frankfurt, 2024