Zu Gast bei den Sch'tis

„Glauben Schie bei Ihrer Reischeplanung nur nicht an Vorurteile, schonst entgeht Ihnen mit Schicherheit ein zauberhaftes Stück Frankreich – He!. Wer Schich hingegen auf den Weg macht und Land, Leute und ihre Bräuche erkundet kann eintauchen im Zipfelparadies.“

Willkommen bei den Sch"tis

Zugegeben, die Sprache der Ureinwohner der Region Nord-Pas de Calais ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. Franzosen aus dem mediterranen Süden finden es dort viel schlimmer, als Oberbayern den Besuch bei den oft verlachten Ostfriesen. Für die Bewohner der Provence ist Nord-Pas de Calais mindestens so weit entfernt, wie der Nordpol und sicherlich noch deutlich kälter. Keine Wunder also, dass Phillipe (Kad Merad), der wegen einer Schummelei strafversetzte Postbeamte von seiner schönen Frau warm für die Reise eingepackt wird. Sogar die Polizisten haben Mitleid mit ihm, als er sich fast in Trance nach Bergues aufmacht. Dort fährt er bei strömenden Regen erst mal einen seiner Kollegen Antoine (Dany Boon) über den Haufen und vermutet hinter dessen merkwürdigen Sprechweise einen durch den Aufprall verursachten ernsthaften Schaden.

So beginnt Dany Boons neuer Erfolgsstreifen „Willkommen bei den Sch’tis“, der in Frankreich mehr als 20 Millionen Zuschauer ins die Kinosäle lockte und der jetzt in einer gelungene deutschsprachigen Fassung auch bei uns ins Kino kommt.

Boon, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur, ist selbst ein Sch’ti und so liegt es nahe, dass er sehr liebevoll an seine Landsleute herangeht und sie mit sanftem Humor auf die Schippe nimmt. Er geht dabei den Vorurteilen auf den Grund, zum Beispiel warum die Leute immer schon am Morgen betrunken sind. Ganz einfach: Wenn der Briefträger kommt, dann lädt ihn jeder gerne zu einem „bistoul“ ein. Für Entschuldigungen ist kein Platz, denn „Für einen kleinen bistoul‘ ist immer Zeit!“

Der Genever aus dem kleinen Örtchen Houlle ist ein typisches Produkt der Region. Sie ist die Letzte, in der Wacholderschnaps aus Hafer, Gerste und Roggen noch hergestellt wird. Hugues Persyn ist der Chef der dortigen Genever-Brennerei. Nur noch zwei Destillerien sind übrig geblieben und üben das Geschäft in liebevoller Kleinarbeit aus. Ein großer Teil der Produktion dürfte nach dem sensationellen Filmerfolg auch bei den Reisegruppen hängen bleiben, die nach erfolgter Besichtigung des Betriebs ein kleines Fläschchen des leckeren goldgelben „Carte Noir“ mit seinen 49 Prozent Alkohol mit nach Hause nehmen. Der Rest geht an die Kunden in der Region, die damit gerne den Kaffee - auch für den Briefträger - anreichern. Wer kein Maß kennt, sollte sich besser von ihm fern halten!

Maroilles

Automatisch fernhalten wird man sich vom Maroilles. Der quadratische Käse mit der typischen Rotschimmelrinde reift erst für ein paar Monate, bevor er ausgeliefert wird. Rund 2000 Tonnen des Stinkers gehen jährlich über den Tresen. Im Film tunken ihn sich die Einheimischen auf die Stulle geschmiert zum Frühstück in den Chicorée-Kaffee. Diesen Muckefuck hatten auch unsere Vorfahren in den entbehrungsreichen Zeiten des Kriegs getrunken. Wer allerdings in ein Cafe geht, wird ihn dort schwerlich finden und auch die scheinbare Sitte löst bei Feinschmeckern aus der Region nur verwundertes Kopfschütteln aus. Doch auch wenn er durchaus geruchsintensiv ist, sollte man sich den Maroilles nicht entgehen lassen – wenn man ihn bekommt - denn auch er ist Profiteur des Films und ist inzwischen in den Feinkostläden ein knappes Gut.

„Gibt’s leider nicht mehr“, hört man mehr als einmal. Fündig geworden sind wir dann aber doch: in der Ferme du Sart, am Stadtrand von Lille, der Hauptstadt der Region Nord. Freundlich zeigen uns die beiden jungen Verkäufer am Tresen des im vergangenen Jahr eröffneten Produzentenmarktes, der regionale Lebensmittel frisch und zu erschwinglichen Preisen anbietet, wie man ihn am besten genießen kann. Das Angebot wird gut genutzt und wer mag, kann dort auch noch in der farmeigenen Kochschule lernen, wie man auch andere Gerichte optimal zubereitet.

Chicorée

Gemüse ist einer der Renner. In einem Hotel treffen wir Michel Théret. Der 72-jährige hat sich für uns in die Kluft seiner Bruderschaft geworfen, der Bruderschaft der Chicoréebauern. In seiner blauen Tracht, mit einer riesigen Kochmütze aus dem kahlen Schädel ist der quirlige Ritter der Ehrenlegion ein unermüdlicher Botschafter des Chicorée- und des Blumenkohlanbaus. Landaus, landab reist der frühere Gastronom, tritt im Fernsehen auf und besucht Schulklassen, um sie für den eigentlich ungeliebten Chicorée zu gewinnen. „Perle des Nordens“ nennt er das Gemüse, dass nur so vor Vitaminen strotzt und beim empathischen Vortrag des Mannes, der mit seinen verzwickt lachenden Augen ein bisschen an Rumpelstilzchen erinnert, kann man sich gut vorstellen, dass er der richtige Mann dafür ist, Chicoree für alle Lebensmittel zu verwenden, seien es Marmeladen, Ersatzkaffee oder aromatisiertes Bier.

Auch Maroilles kann man mit Chicoree essen, wie er uns beweist, doch ein wahrer Genuss wird daraus, wenn man ihn mit dem konzentrierten Sirop de Liège bestreicht, der in benachbarten Belgien aus 400 Gramm Birnen, Äpfeln und Datteln pro 100 Gramm Sirup hergestellt wird. Wo so viel konzentriere Frucht auf konzentrierte und affinierte Milch trifft, kann ja eigentlich nur Genuss entstehen.

Lille, Fritten und Carbonade

Die Millionenstadt Lille hat ihr hässliches Image als rußige Industriestadt längst an den Nagel gehängt. Als sie sich vor vier Jahren als europäische Kulturstadt präsentierte und ein wahres Feuerwerk an Aktivitäten abfackelte, waren selbst Franzosen aus dem nahen Paris erstaunt. Heute profitiert die Stadt von den neuen schnellen TGV, Thalys und Eurostart-Verbindungen, die Lille zu einem idealen Quartier für Besuche in den Metropolen London, Paris und Brüssel werden ließ In einer halben Stunde ist man in Brüssel. In einer knappen Stunde in Paris und in 90 Minuten im Zentrum Londons.

Eine Spezialität Lilles und der ganzen flandrischen Region ist die Carbonade, ein Rindergulasch mit Pommes Frites, dass durch das beigemengte Bier und den Lebkuchen seine spezielle Note erhält. Richtig stolz ist man darauf und so kann es passieren, dass, wenn man eingeladen wird, jeder Gastgeber das Beste geben möchte: natürlich Carbonade.
Überhaupt die Fritten. Philippe wird in dem Film von den Kollegen zu einer der beliebten Frittenbuden geschleppt. Erst widerwillig, begeistert er sich schnell dafür. Hier im Norden gehören die frittierten Kartoffeln zu (fast) jedem Mahl und zählen zum gastronomisch-kulturellen Erbe der Region, die sie schon lange vor Parmentier kannte, der sie im Rest des Landes populär machte.

Die Geschichte der Pommes wird dem winterlichen Mangel zugeschrieben, bei dem ein Koch im Winter die Kartoffeln in Fischform schnitt und in siedendes Öl warf. Mit Erfolg, nach wie vor lecker und bei Groß und Klein beliebt, stopfen allein die Deutschen jedes Jahr rund 300.000 Tonnen der leckeren Kartoffenstäbchen in sich hinein – fast vier Kilo pro Bundesbürger.

Bier

Auch das in der Carbonade enthaltene Bier ist eine Spezialität der Region. Leider sind viele der kleinen Brauereine mit der trappistischen Brautradition inzwischen der Expansion der Großen Marken zum Opfer gefallen, doch hilft wiederum der Film auch hier weiter. „Sch’ti“ heißt ein Bier mit knalligem Lable, das aus der Region stammt. Sylviane Dervilliers hat vor einigen Jahren im nahen Arras einen Laden mit regionalen Spezialitäten eröffnet und bietet es gleich in unterschiedlicher Ausstattung und Geschmacksvarianten an – kein großes Bier, aber die Touristen sind gerne bereit die Boutiquepreise für ein Mitbringsel zu zahlen.

Ein anderes Bier wirbt mit dem Erkennungsspruch der Sch’tis in der Ferne „Hé, biloute, t’es d’min coin?“ – oder „He, Zipfel, kommst Du aus meiner Gegend?“ und kostet - mit Champagnerkorken - stolze 2,65 Euro pro 0,75 l-Flasche. Begeistert berichtet Sylviane, dass der Film ganz neue attraktive Geschmacksvarianten mit Chicorée oder Rhabarber hervorgebracht hätte – nicht nur Anhängern des deutschen Reinheitsgebots ein Gräuel.

Wer ein wenige weiter in Richtung Kanalküste fährt, kommt irgendwann nach Bergues, rund 10 Kilometer von Dunkerque entfernt. Dort spielt der Film um Phillipe und Antoine. Auch Bergues hat eine Spezialität: Waffeln. Wer es – wie wir - nicht dorthin schafft, kann sie auch in Lilles finden. Dort verkauft die traditionsreiche Konditorei Meert leckere Waffeln mit Madagaskar-Vanille. Schon General de Gaulle war dort Stammgast und verzehrte sich danach. Wir schaffen es gerade noch ihm nachzueifern, bevor uns der TGV im supermodernen Bahnhof aufnimmt und uns via Brüssel zurück nach Deutschland bringt.

(c) Magazin Frankfurt, 2024