Guido Reni - Der Göttliche im Städel

Reni, Himmerlfahrt Mariens

(c) Städel Museum

Reni, Hippomenes und Atalante

(c) Museo Nacional de Prado, Madrid

Es gibt einige Künstler, die schafften es zu Lebzeiten nicht zu dem Ruhm, der ihnen heutzutage zugebilligt wird. Vincent van Gogh war einer davon. Oder die im vergangenen Jahr in der Schirn präsentierte Paula Modersohn-Becker, deren Bilder noch nicht einmal ihr eigener Ehemann richtig verstand. Vor ihrem Tod konnte sie gerade einmal fünf davon verkaufen. Andere Künstler sind zu ihren Lebzeiten weltbekannt, können sich ihre Auftraggeber aussuchen und die Preise diktieren. Dafür sind sie heutzutage für viele kunstliebende Laien fast unbekannt. Der Bologneser Guido Reni ist einer davon. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war er nicht nur in Italien so bekannt und von Adel, Klerus und Bürgertum so geschätzt, wie sein Zeitgenosse Rubens in Westeuropa. Lukrative Aufträge, die ihm nicht passten, konnte er einfach ablehnen - so wie heute der Sänger Rod Steward ein Konzert in Doha.

Nicht umsonst nannte man ihn "il Guido" oder gar "il divino Guido", den göttlichen Guido. Im Herbst 1575 kam er im wuseligen Bologna zur Welt. Die Genusshauptstadt Italiens, die als Beinamen la Rossa (die Rote, nicht nur für ihre Backsteinhäuser), la Grassa (die Fette, für kulinarische Genüsse wie die Mortadella) und la Dotta (die Gelehrte, für ihre zahlreichen Studenten) führt, hatte eine eigene Malerschule, die einige der berühmtesten und bedeutendsten Künstler des 17. Jahrhunderts hervorbrachte. Einige Jahre arbeitete er neben seiner Heimatstadt, der er nicht nur durch seine geliebte Mutter eng verbunden war, in Rom, wo er für den Papst, die Kardinäle und den mit ihnen eng verbundenen Adel als Hauptvertreter eines barocken Klassizismus Kirchenfresken, Altargemälde und die Paläste malte.

Im 17. Jahrhundert hielt Reni halb Europa in Atem, doch heute kennt man seinen Namen meist nur aus dem Kreuzworträtsel, wenn ein italienischer Barockmaler mit vier Buchstaben gesucht wird. Sonst ist sein Name fast vergessen, auch wenn seine Kunst immer noch sehr präsent ist. Nach wie vor ist es besonders der Blick gen Himmel, den seine männlichen und weiblichen ProtagonistInnen zu seinem Markenzeichen machten. 120 verschiedene Blicke, glaubte Reni, wie er stolz schrieb, in seinem Repertoire zu haben und noch immer werden diese sehnsüchtigen und ausgesprochen elegant gemalten gerne als Vorlagen für die nach wie vor florierende Devotionalienindustrie genutzt, die sie für Kruzifixe, Kerzen und anderen Produkten der katholischen Massenware nutzen und so Guidos Figuren und besonders seinen Köpfen eine gewisse Ewigkeit verschafft haben und weiterhin verschaffen.

In fast jedem der vergangenen Jahrhunderte gab es Künstler, die es sich erlauben konnten die Mächtigen ihrer Zeit, seien es Päpste, Kaiser oder Königinnen warten zu lassen oder ihre Aufträge abzulehnen. Bei den geistlichen Führern war der Divino Guido wohl gnädiger, denn er pflegte seinen Katholizismus und schuf für Paul V., den Papst aus dem Hause Borghese und seinem zum Kardinal ernannten Nepoten Scipione, einem Neffen, als Hofmaler des Vatikans zahlreiche Fresken und Altarbilder. Auf der gesamten Halbinsel und darüber hinaus feierte man Guido Reni als einen, wenn nicht gar DEN berühmtesten Maler seiner Generation. Als man den „artista divino“, den göttlichen Künstler, 1642 in Bologna zu Grabe trug, wurde er fast wie ein Heiliger verehrt – so groß war der schon damals gepflegte Starkult.

Bastian Eclercy, der als Kurator die zusammen mit dem Madrider Prado organisierte Ausstellung voller Meisterwerke des Künstlers zusammengestellt und geplant hat, zeichnet ein ambivalentes Bild des großen Künstlers, der tagsüber mit dem Habitus eines über den Dingen stehenden Genies Unsummen für seine Kunst fordern konnte und diese aus bewilligt bekam, während er sich in den Nächten in den übelsten Spelunken der Stadt herumtrieb, wo er im Würfel- und Kartenspiel diese großen Summen meist auch schnell wieder verspielte, da er meist verlor. "An einem Abend hat er einmal praktisch den Gegenwert eines Hauses verzockt", sagt Eclercy.

Während das Leben vieler anderer Künstler dieser Zeit heute meist nebelhaft bleibt, kann man Renis Ein- und Ausnahmen gut nachvollziehen, denn er führte zumindest in seinen Jahren in Rom handschriftlich ein genaues Spesenbuch, das die New Yorker Morgan Library erstmals auslieh- In dem jetzt im Städel zu sehenden Buch hat er sehr präzise alle finanziellen Eingänge und Ausgänge verzeichnet. So kann man heute erkennen, welche Rolle Geld für ihn gespielt haben muss, freut sich Experte Eclercy, der in den vergangenen Jahren Reni auch einige neue Zuschreibungen absichern konnte. Reni hatte selbst keinerlei Zweifel an seinem Starkult. Wer ein Kunstwerk von ihm wollte, musste es sich schon gefallen lassen, von dem sehr selbstbewusst auftretenden Künstler zum Besuch aufgefordert zu werden. Selbst im jeweiligen Palazzo der Auftraggeber vorzusprechen war unter seiner Würde. Reni hielt seine Kunst für unbezahlbar. Er sagte, jeder solle selbst entscheiden, nach dem Modell „Pay what you want“. Da er bei der Auswahl seiner Auftraggeber gut spekulieren konnte, setzte er auf das Ehrgefühl seiner Kundschaft und übte auch einen gewissen sozialen Druck auf sei aus. Was er nicht beim Spiel verprasste gab er wohltätig für Bedürftige und Patenkinder aus.

Zum Glück haben wir mit über sein Privatleben auch sonst recht gute Kenntnisse, da ihn sein früher Biograph und Verehrer Malvasia persönlich kannte und mit ihm befreundet war. Er galt als eine Art Bologneser Vasari, war aber bei seinen Aufzeichnungen wesentlich genauer und verlässlicher. Malvasia schrieb über die keusche Frömmigkeit des gutaussehenden Malers und sein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter. Anderen Frauen gegenüber soll er misstrauisch und kühl gewesen sein. Manche führen dies auf seine Angst vor Hexen und die Furcht vergiftet zu werden zurück. Gift gilt ja als Waffe der Frauen. Wenn sich hoher Besuch aus den italienischen oder europäischen Adelshäusern ansagte, beeindruckte er den Kunstkennern manchmal durch seine enorme Schnelligkeit und gleichzeitige Meisterschaft, wenn er innerhalb weniger Stunden ein mittelgroßes Bild vor ihren Augen malte.

Manchmal hatte es schon den Charakter einer Massenproduktion, wie in der Factory Andy Warhols, wenn er Bilder in einer Art leicht abgewandelter Serie malte, was man in der Ausstellung an Variationen seiner Himmelfahrt Mariens, der Maria Magdalenas, des Christus mit der Dornenkrone oder der sterbenden Kleopatra mit der Schlange an der schönen Brust. Manche davon entstanden mit oder durch die Werkstatt, doch für die Frankfurter Städel-Schau wählte Eclercy ganz bewusst nur Werke aus, die eindeutig die Handschrift Renis tragen.

Als die aus Florenz stammende Maria die Medici, die damals reichste Erbin des europäischen Kontinents, als Frau Heinrich IV. von Navarra zur Königin Frankreichs aufstieg ihn hinter der Hand um eine Fortsetzung des Mara-di-Medici-Zyklus bat, die Peter Paul Rubens, der wohl einzige wahre Konkurrent in Europa, begonnen hatte, lehnte Reni ab, da er keine Lust hatte, dafür Italien und seine Mutter zu verlassen und nach Paris zu gehen.

Sehr beeindruckt haben mich Renis Zeichnungen (zum Teil Leihgaben König Charles aus dem Windsor Castle) die man in der Ausstellung sehr gut betrachten kann und die weitgehend unbekannt sind. Auch da war Reni ein Freund schneller doch sehr gekonnter Striche: Auf einem Skizzenblatt von etwa 1600 probt er muskulöse Beine und Figuren. Als er ein Jahr später nach Rom ging, hatte er seine eigene Handschrift gefunden.

Die Frankfurter Ausstellung präsentiert Renis Schaffen anhand zehn chronologischer Kapitel, teils mit thematischen Schwerpunkten. Ebenso spielen Aspekte seiner Lebensgeschichte, in die eine Biografien Malvasias Einblicke gibt, eine Rolle. Zur Ausstellung erschien ein schöner Katalog, ein kostenfreies Digitorial und ein auch fürs Smartphone herunterladbarer Audioguide, in dem Tagesheimen-Moderator Ingo Zamperoni uns durch Leben und Werk seines Landsmanns führt.

(c) Michael Ritter

Reni, Hippomenes und Atalante

(c) Museo Nacional de Prado, Madrid

(c) Magazin Frankfurt, 2024