Oskar Kokoschka in Zürich und Wien

Kokoschka in Wien

(c) Kehrer Verlag

Das Leopold Museum widmet ab dem 6. April 2019 dem einst als „Oberwildling“ bezeichneten und 1980 93-jährig verstorebenen Oskar Kokoschka eine der bisher umfassendsten Retrospektiven. Nachdem die Ausstellung zuvor bis zum 10.März im Kunsthaus Zürich zu sehen ist, beleuchtet Kuratoin Heike Eipeldauer mit den rund 260 Exponaten, darunter Schlüsselwerken aus internationalen Sammlungen wie auch selten oder nie Gezeigtem, Kokoschkas vielseitiges Œuvre aus sämtlichen Schaffensperioden und Wirkungsstätten wie Wien, Dresden, Prag, London und schließlich Villeneuve. Kokoschka, dessen Biografie einem Parallellauf durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts gleicht, wird dabei zugleich als radikaler Erneuerer und Multitalent präsentiert – als Maler, Zeichner, Druckgrafiker, Literat, Dramatiker und Theatermacher wie auch als Humanist, überzeugter Europäer und durchaus ambivalenter Homo politicus. Zahlreiche Dokumente zeichnen Kokoschkas wechselvolle Beziehung zu seiner „Heimat“ Österreich nach, der er wiederholt abhandengekommen war. Andere Schwerpunkte bilden Kokoschkas gewandeltes Frauenbild – vom Geschlechterkampf bis zur Beschwörung der Mutter als Friedenstifterin –, seine psychologischen, eine Innenschau ermöglichenden Porträts, sowie sein nachhaltiges Eintreten für figurative Kunst, durch das er nachfolgende Künstlergenerationen prägte.

Die Retrospektive spürt den Motiven und der Motivation des Malers nach, der in nicht weniger als fünf Ländern zuhause war. Aus allen Lebensphasen versammelt in Zürich die Kuratorin Cathérine Hug rund 100 Gemälde und ebenso viele Arbeiten auf Papier, Fotografien und Briefe. Diese Zeitzeugen belegen, dass Kokoschka die Diffamierung seiner Kunst als «entartete» während des Nationalsozialismus einigermassen aufrecht überstand: Auftragsarbeiten berühmter Persönlichkeiten aus Literatur, Architektur und Politik sicherten sein Überleben. Und manche Arbeit entstand schlicht aus Liebe. Für Alma Mahler schuf er ein vier Meter langes Wandbild, welches über Jahrzehnte das Kaminzimmer ihres Hauses in Breitenstein am Semmering dekorierte. Es zeigt das Liebespaar in der Zerreissprobe ihrer leidenschaftlichen Beziehung. Als der kurzzeitige neue Eigentümer des Hauses das unter Farb- und Tapetenschichten verborgene Wandbild 1989 im Rahmen von Renovierungsarbeiten wiederentdeckte ermöglichte er dessen behutsame Freilegung und Herauslösung von der Wand durch Restauratoren. Das sich heute in Privatbesitz befindende «Al secco»-Bild ist erst ein Mal öffentlich ausgestellt worden und jetzt in Zürich zu sehen.

Im Exil wurde Kokoschka zum unbeugsamen Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte; ein Humanist, der in seinen Werken Landschaften und Kindern ebenso einen Platz einräumt wie mythologischen Gestalten und Metaphern, die gegen Kriegsgräuel und für die Kraft der Liebe und die Schönheit der Natur stehen. Es ist diese eigenständige, künstlerische Sprache des politischen Protests, die Kokoschka unverwechselbar macht.Die Ausstellung im Leopold Museum, das selbst über umfangreiche Bestände verfügt, entsteht in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich sowie in engem Austausch mit der Fondation Oskar Kokoschka in Vevey und dem Oskar Kokoschka-Zentrum in Wien.

Zur Ausstellung in Wien erschien beim Heildelberger Keher Verlag ein eindrucksvoller Katalog, der Kokoschka zusammen mit Francis Picabia und Pablo Picasso als Mitglied jener Malergeneration zeigt, die an der gegenständlichen Malerei festhielt, als die Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Dominanz etablierte. Dass heute die gegenstandslose Malerei und die Figuration ohne ideologische Grabenkämpfe nebeneinander praktiziert werden können, ist auch ihr Verdienst. Künstler der Gegenwart berufen sich insbesondere auf Kokoschka.

Als besonderes Highlight sind die monumentalen Triptychen aus dem Spätwerk "Die Prometheus Saga" aus dem Jahr 1950 aus der Londoner Courtauld Gallery und die aus dem Jahr 1954 stammende "Thermopylae" in der Universität Hamburg erstmals ausserhalb Englands vereint zub bewundern. Die beiden je rund acht Meter breite und über zwei Meter hohen dreiteiligen Gemälde stellen den Höhepunkt von Kokoschkas reifem Werk dar - und den dieser Retrospektive. Erst einmal waren beide Wandbilder 1962 in der Tate Gallery gemeinsam zu sehen. Sie entstanden in einer Transitionsphase: nach einem Jahrzehnt im Londoner Kriegsexil übersiedelte der Künstler 1953 nach Villeneuve in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 1980 leben sollte. Das imposante «Prometheus»-Triptychon – ursprünglich eine Innendekoration für einen adligen Auftraggeber in London – war seit 1952, als es an die Biennale von Venedig reisen durfte, nie ausserhalb der Britischen Inseln ausgestellt. Die Darstellung des Prometheus, Urheber der menschlichen Zivilisation, ist wie das «Thermopylae»-Triptychon ein Appell an die Menschen, sich als Brüder und Schwestern in Frieden und Freiheit zu vereinen. Neben der inhaltlichen Dimension kann an diesen Exemplaren auch der Schaffensprozess abgelesen werden, mit dem sich Kokoschka von anderen Zeitgenossen unterschied. Pinselstriche und Farbverläufe lassen den Betrachter die Bewegung des Künstlers, einen für die figurative Malerei unüblichen performativen Produktionsprozess, erkennen. Der an der Figuration festhaltende Expressionist, der eine «Schule des Sehens» gründete, die bis heute in Salzburg fortbesteht, galt damals vielen als antimodern – tatsächlich kämpfte er für einen demokratischen Zugang zu Bildung und für eine offene Gesellschaft.

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt widmete nach einer Begegnung mit Oskar Kokoschka im Jahr 1960 dem Maler ein Gedicht, das eine Kunst verficht, in der die Figur des Menschen im Zentrum steht, und dessen Gemälde «Thermopylae» rühmt. Das Centre Dürrenmatt in Neuchâtel hat den beiden Künstlern deshalb fast zeitgleich mit der Ausstellung in Zürich die Austellung Kokoschka - Dürrenmatt: Der Mythos als Gleichnis gewidmet, in der anhand von rund hundert Werken Kokoschkas und des 35 Jahre jüngeren Dürrenmatts verdeutlicht wird, auf welche Weise beide antike Mythen in ihren Werken verarbeiteten, um über ihre eigene Epoche zu sprechen.

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(c) Magazin Frankfurt, 2020