Open your Ears - Wege zur Neuen Musik

Open your Eaars - Wege zur Neuen Musik

(c) Arthaus Musik

Ich lernte Gerd Albrecht vor einem halben Jahrhundert kennen. Der junge Dirigent hatte damals, aus Lübeck kommend, die Stelle des Generalmusikdirektors in Kassel übernommen. In der nordhessischen Provinz machte er sich schnell einen Namen, indem er Erklärkonzerte für Kinder und Jugendliche einführte. Einer der regelmäßigen Zuschauer war damals der Rezensent, der sich auch noch an die Sammlung von Vinyl-LPs erinnert, die Albrecht damals zur Erklärung von beliebten Musikstücken wie „Peter und der Wolf“ oder „Die kleine Nachtmusik“ eingespielt hat.

Schon als Kind träumte er von einem Museum mit Instrumenten zum Anfassen. Als kleiner Junge soll er mit aller Kraft auf einen Gong in der Preußischen Musiksammlung geschlagen haben. Größerer Ärger blieb aus, denn sein Vater war Leiter des Hauses. Und doch brachte diese einschneidende Erfahrung ihn später auf die Idee, ein Museum mit weltweit einzigartigem Konzept zu gründen in dem Kinder, aber auch Erwachsene, Instrumente anfassen und ausprobieren können. Ein Ort an dem man nicht nur ein Alphorn sieht und hört, sondern auch selbst versuchen kann, einen Ton herauszuholen.

Es sollte auch bei seiner weiteren Karriere, die ihn unter anderem nach Berlin, Zürich und Prag führte, ein zentraler Bestandteil und eine besondere Herzensangelegenheit bleiben. Den Wunsch erfüllte er sich als Gründer des Klingenden Museums in Hamburg und Berlin. Für sein Engagement in der Jugendarbeit erhielt er unter anderem den Grimme-Preis. „Wenn es uns nicht gelingt, die Jugend in die Konzertsäle zu bekommen, wird es das Musikleben, wie wir es kennen, innerhalb kürzester Zeit in Deutschland nicht mehr geben“ sagte der Musiker.

Die jetzt von der Commerzbank Stiftung unterstützte und bei ARTHAUS Klassik herumgekommene DVD-Box mit ausführlichem Begleitbuch führt diesen Gedanken weiter, denn nicht nur Kinder und Jugendliche muss man oftmals an Neues und Unbekanntes heranführen – auch Erwachsene, denn Menschen müssen oft, um die Musik zu verstehen, die Ideen der Komponisten nachvollziehen können.

Sein Ziel: Dass sich neue Welten eröffnen, wenn es gelingt, Einblick in das tiefe Innere der Neuen Musik zu schaffen, die bis heute oftmals noch als fremdartig und rätselhaft erlebt wird. Albrechts analytischen Gesprächskonzerte helfen dabei. Zusammen mit dem SFB und dem Deutschen Symphonieorchester entstand die Fernseh-Reihe „Wege zur Neuen Musik“, die später mit dem RSO Berlin neu aufgesetzt wurde. Darin kamen zeitgenössische Komponisten zu Wort, erzählten von ihrem Schaffen, der Art ihres Arbeitens und ihrem musikalischen Anliegen. Sechs dieser Gesprächskonzerte unter der Leitung von Gerd Albrecht sind eindrucksvolle Zeitdokumente, nicht zuletzt, weil es kaum Filmmaterial über die großen Nachkriegskomponisten gibt, in denen sie live zu erleben sind. Die Konzerte aus den Jahren 1986 bis 2011 sind in dieser hörenswerten Edition vereint.

Auf der ersten DVD stellt Albrecht zusammen mit dem polnischen Komponisten Krzystof Penderecki dessen Partita für konzertierendes Cembalo, elektrische Gitarre, Bassgitarre, Harfe, Kontrabass und Orchester vor. Im Folgejahr war Hans Werner Henzes Barcarola für großes Orchester Thema des Gesprächskonzerts, gefolgt von György Ligetis San Francisco Polyphony für Orchester, Mauricio Kagels Quodlibet für Frauenstimme und Orchester nach französischen Chansontexten aus dem XV. Jahrhundert und Isang Yuns Tänzerischen Fantasie für großes Orchester Muak. Einige Jahre vor seinem Tod entstand dann das Gesprächskonzert mit Jörg Widmann über dessen Elegie für Klarinette und Orchester.

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(c) Magazin Frankfurt, 2020