Auf den Spuren von Frederic Chopin in Polen

Die Polonaise - nicht aus Blankenese

Es hat etwas Erhebendes, einen virtuosen Pianisten beim Spiel zuzuhören. Nach einer markanten Einleitung im dominanten Es-Dur geht sie später ins E-Dur über. Schwierig sei sie, aber keineswegs „unspielbar“, obwohl viele Pianisten an den leisen Oktaven für die linke Hand scheitern und daran, ihrem Spiel Festigkeit und den majestätischen Stolz zu verleihen und es nicht zu zerspielen und so - beim Finale - den Hauptsatz in höchstem Glanz wiederauferstehen zu lassen. Wohl jeder Freund klassischer Musik kennt sie: die Polonaise As-Dur op. 53 von Frédéric Chopin aus dem Jahr 1842.

Der Komponist hatte sie dem eng befreundeten deutsch-jüdischen Bankier Auguste Léo, in dessen Pariser Salon er häufig verkehrte, gewidmet. Seine geliebte polnische Heimat hatte er da schon seit 12 Jahren als 20-jähriger verlassen müssen. Sie ist eines der bekanntesten und wichtigsten Werke für Klavier aus Chopins Feder und der angemessene Beiname „Héroïque“ verliehen ihr später Kritiker.

„Polonaise“ stammt aus dem Französischen und bezeichnet den „danse polonaise“, den „polnischen Tanz“. Üblicherweise schreiten bei diesem polnischen Nationaltanz die Paare im Reigen und moderaten Tempo würdevoll und majestätisch zur Musik im Polonaise-Rhythmus durch den Saal. Neben Mazurka und Krakowiak ist es der älteste polnische Nationaltanz.

Auch außerhalb Polens wurden schon seit Ende des 16. Jahrhunderts Musik für diesen Prozessionstanz komponiert, zum Beispiel von Bach, Beethoven, Mozart, Schubert und Tschaikowski. Fast alle wichtigen Polonaisen wurden - wie auch bei Chopin - nach den Teilungen Polens im Ausland komponiert, als das polnische Volk um seine Unabhängigkeit und die Wiedergründung seines Staates kämpfte.

Die berühmtesten Polonaisen schrieb sicherlich Chopin, dessen „Heroische“ nicht nur zu seinen bedeutendsten Klavierwerken zählt, sondern bei teilnehmenden Klaviervirtuosen an dem alle fünf Jahre in der Nationalphilharmonie in Warschau stattfindenden Internationalen Chopin Klavier-Wettbewerb zur beliebten Wahl im Programm der zweiten Hauptrunde gehört.

Chopin-Denkmal in Warschau

(c) Michael Ritter

Der Internationale Chopin-Klavierwettbewerb

Konzert in der Nationalphilharmonie

(c) Michael Ritter

Der 2020 geplante 18. Wettbewerb fiel der Corona-Pandemie zwar nicht zum Opfer, musste aber um ein Jahr auf Oktober 2021 verschoben werden. Teilnehmen dürfen nur junge Pianisten im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. 87 der 445 Bewerber, die sich mit einer Videoaufnahme und später in einer Ausscheidungsrunde im Juli 2021 in Warschau für den Wettbewerb qualifizierten duften dabei antreten. Die Konzerte sind bei Musikfreunden in aller Welt sehr beliebt und alle Tickets für die sich über drei Wochen dauernde Auswahlkonzerte in vier Runden waren binnen drei Stunden verkauft.

Nachdem alle Durchgänge absolviert waren, stellte die mit namhaften internationalen Pianisten und Komponisten besetzte Jury fest, dass die drei führenden Pianisten dabei eine identische Gesamtwertung erreichten, was zu einer langen Debatte unter den 17 Preisrichtern führte. Letztendlich sprachen sie sich deutlich für Bruce Liu als Sieger aus, einen kanadischen Pianisten chinesischer Herkunft, während sich der italienisch-slowenische Pianist Alexander Gadjiev den zweiten Preis mit dem Japaner Kyohei Sorita, den Sie oben mit der Polonaise hönen können, teilen musste.

Aus Deutschland hat es kein Pianist geschafft, in die Auswahl zu gelangen, wie es auch seit dem ersten Wettbewerb 1927 nie ein deutscher Pianist in die Gruppe der Top 3 geschafft hat. Dabei können sich die Preisträger wahrlich sehen lassen: Adam Harasiewicz 1955, Maurizio Pollini 1960, Martha Argerich 1965 und Krystian Zimernan 1975.

Frédéric Chopin war auch bei uns Grund einer Reise in die polnische Hauptstadt, allerdings nicht der bereits lange zuvor ausverkaufte Wettbewerb. Trotz seines französischen Namens ist der Komponist und Klaviervirtuose, der zu den wichtigen Repräsentanten der Romantik gehört, vom Herzen – und auch seitens seiner Mutter – Pole.

Chopins Geburtshaus

(c) Michael Ritter

Chopins ersten Monate in Zelazowa Wola

Sein Mutterland ehrt ihn schon zu Beginn des Jahrtausends, als sie 2001 den größten und wichtigsten Flughafen des Landes, den Hauptstadtflughafen nach ihrem großen Sohn umbenannten. Zur Welt kam er im Sternzeichen der Fische - vermutlich am 1. März 1810 - in Zelazowa Wola, einem winzigen Dorf, eine Autostunde westlich von Warschau. Zwar steht auf Urkunden der 22. Februar, doch in der Familie feierte man stets am 1. März und vermutlich hatte sich Vater Nicolas bei der späteren Beurkundung um eine Woche vertan. Sein Geld verdiente der aus Lothringen stammende Vater nach dem Untergang des Königreiches Polen 1795 durch die Dritte Teilung als Französischlehrer für die Kinder von Graf Kacper Skarbek und seiner Frau Ludwika. Dort lernte er die als Wirtschafterin beschäftigte Tekla Justyna kennen, mit der ihn Ludwika verkuppelte.

1806 heiratete das musikinteressierte Paar und der kleine Frédéric kam als ihr zweites Kind in dem später zum Museum aufgehübschtes kleines Landhaus auf dem Gelände des schon 1812 durch ein Feuer zerstörten Herrenhauses zur Welt.

Der Besuch in Żelazowa Wola lohnt. Das Geburtshaus des Komponisten ist ein in Polen „dworek“ genanntes kleines Herrenhaus und enthält als Außenstelle des Chopin-Museums in Warschau Erinnerungsstücke an Chopin mit Möbeln aus dessen Zeit. Der sehr gepflegte Park am Ufer des Flüsschens Utrata mit der Chopin-Büste des polnischen Bildhauers Józef Gosławski lädt zum Verweilen ein. Zwar verließ die Familie das Anwesen bereits, als Frédéric noch ein Baby war, doch kehrte man später zum Urlaub oder für Familienfeste gerne dorthin zurück.

Chopins Klavierzimmer

(c) Michael Ritter

Kindheit und Jugend in Warschau

Blick auf die restaurierte Warschauer Altstadt

(c) Michael Ritter

Schon als Kind erlangte der in liebevoller, anregender häuslicher Umgebung aufgewachsene Junge den Status eines Wunderkinds. In Warschau erhielt er seine musikalische Ausbildung und komponierte seine ersten Stücke. Seine Familie wohnte ab 1812 im von der Wehrmacht zerstörten Sächsische Palais im Herzen Warschaus, einem aus der Zeit August des Starken stammenden Barockschloss. Dort hatte man auch das Warschauer Lyceum untergebracht, in dem Chopins Vater arbeitete und zur Aufbesserung seines dürftigen Gehalts ein Internat für Kinder aus reichem Haus betrieb. Im Jahr 1827 starb die erst 15jährige Tochter Emilia an Tuberkulose, der Krankheit, die dem Komponisten 22 Jahre später ebenfalls den Tod bringen sollte. Der Vater gab daraufhin sein Internat aus und zog mit der Familie in den Czapski-Palast an der Warschauer Flaniermeile Krakowskie Przedmieście um, die man gerne auch als Königsweg bezeichnet und die heute die schönste Touristenattraktion Warschaus ist. Schon damals bestimmten Magnaten die Wirtschaft und damit die Politik im Land mit und dies war eines der schönsten Magnaten Paläste der Stadt. Nur wenige Meter davon entfernt sollte Jahre später in der Heilig-Kreuz-Basilika Frédéric Chopins Herz seine letzte Ruhestätte finden.

Schon früh zeigte er großes Talent für die Musik, was von den musiksinnigen Eltern stark gefördert wurde. Von seinem fünften bis zum 13. Lebensjahr bekam er Hausunterricht, anfangs unter der Anleitung seiner Mutter, doch die schnellen Fortschritte sorgten dafür, dass der Vater wenige Jahre später den tschechischen Privatmusiklehrer Wojciech Zywny bat, dem Sohn Klavierunterricht zu geben, der bereits Schüler seines Internats unterrichtete: Er sollte, obwohl er selbst kein großer Instrumentalist war, Chopins einziger Klavierlehrer bleiben und ihn mit der Musik Bachs vertraut machen.

Żywny regte ihn auch zu seinen ersten Kompositionen und Improvisieren an. Natürlich waren die ersten beiden Kals Druckwerk erhaltenen Kompositionen in g-Moll und B-Dur Polonaisen, denen im Laufe seines Lebens 15 weitere folgen sollten, bei denen er dann schon seinen eigenen Stil gefunden hatte.

Schon mit sieben Jahren hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt bei einem Konzert im Radziwill-Palast, in dem heute der polnische Staatspräsident residiert, bei dem er ein Klavierkonzert von Gyrowetz spielte. Die Presse lobte ihn als „polnischen Mozart“ und er konnte sich fortan vor Anfragen des Adels kaum erwehren, die das junge Wunderkind in seinen Salons präsentieren wollte.

Nach sechs Jahren sah Żywny keine Möglichkeit, dem begabten Jungen noch etwas beizubringen und entließ ihn auf eigene Suche, bei der er sich mit den Werken Hummels, van Beethovens, von Weber und anderen beschäftigte und daraus peu a peu einen eigenen Kompositionsstil entwickelte. Musiktheorie und Komposition lernte er in dieser Zeit bei dem aus Schlesien stammenden Joseph Elsner. Nach dem Besuch des Königlich-Preußische Lyzeums schrieb sich Chopin an der Musikhochschule ein, die heute seinen Namen trägt und dort weiter von Elsner in Kontrapunkt, Generalbass und Komposition unterrichtet wurde. Bei seinen Kompositionen verließ er schon rasch bekannte Pfade. Als Chopin 1829 sein Studium beendete, verweigerte ihm der zuständige Minister trotz höchsten Lobes von Elsner, die Finanzierung einer längeren Auslandsreise zur Weiterbildung.

Chopin-Museum in Warschau

(c) Michael Ritter

Reisen und der Aufenthalt in Wien

Doch Reisen waren schon früh ein wichtiger Bestandteil seines Lebens, denn er wollte Museen besuchen, Konzerte und Opern sehen und Bauwerke bewundern. Seine Zuhörer und Förderer aus den reichsten Familien des Landes ermöglichten ihm zum Beispiel eine Reise nach Berlin. Auch später in ihrer Emigration in Paris. Nach Studienende reiste Chopin erst einmal für drei Wochen nach Wien. Die verbleibende Zeit in Warschau sollte sich nach seiner Rückkehr auf ein gutes Jahr beschränken, Er komponierte in dieser Zeit unter anderem seine beiden Klavierkonzerte, einige der berühmten Etüden op. 10. Kurt nach seinem letzten Konzert im Oktober 1830 im Nationaltheater Chopin verließ Warschau Anfang November 20-jährig auf Drängen seines Vaters vor der drohenden Revolte nach Wien, wo er bis Mitte des kommenden Jahres bleiben sollte. Er sollte in der zweiten Hälfte seines Lebens, trotz seines Heimwehs, nie wieder seinen Fuß auf polnischen Boden setzen. Selbst als er 1837 das Angebot bekam Hofkomponist und -pianist des Zaren Nikolaus I. zu werden, lehnte er ab.

Besonders Chopins Zeit in Warschau, aber auch die Zeit in Frankreich kann man im 1955 zum Chopin-Museum umgebauten eleganten Ostrogski-Palast nachverfolgen. Einige der präsentierten Stücke stammen aus seinem Nachlass aus seiner letzten Wohnung an der Pariser Place Vendome, den seine Klavierschülerin Jane Stirling von seiner Schwester erworben und ihn in ihrer schottischen Heimat verwahrt hatte.

Nach ihrem Tod hinterließ sie ihn Chopins hochbetagter Mutter in Polen, wo er nach deren Tod zum Teil Opfer eines des damals schon verheerenden Angriffs der Russen auf Warschau.

Das Verlassen Polens war ein guter Entschluss, denn schon am Ende des Novembers 1830 begehrte das Volk mit dem Novemberaufstand gegen die russische Herrschaft auf. Geschichte wiederholt sich wohl auch nach den Zeiten der Zaren. Wie heute Putin in der Ukraine betrachtete damals Nikolaus I. trotz formaler Anerkennung der Verfassung die Ostgebiete Polens als Teil Russlands und startete mit überwältigender militärischer Übermacht Maßnahmen zur Russifizierung Ostpolens. Wie Chopin gingen viele Menschen, besonders Politiker und Militär, in die Große Emigration nach Westeuropa.

Für Chopin war der Aufenthalt in Wien enttäuschend, da man ihn zwar als Pianisten feierte, aber wenig Interesse an seinen Kompositionen zeigte, weshalb er im Sommer 1831 Wien verlies und ein Durchreisevisum für Frankreich erhielt. Während seiner Reise wurde der Aufstand in Polen niedergeschlagen und Warschau kapitulierte.

Chopins erste Pariser Wohnung

House of Chopin, 27 Boulevard Poissonnière, Paris 23 January 2016

Chopin in Paris

In Paris herrschte gerade eine Wirtschaftskrise, die zur Verbitterung der Arbeiter führte. Schon damals war Chopin körperlich und seelisch in schlechter Verfassung. Auch andere polnische Emigranten hatten dort Exil gefunden und sorgten für Einladungen in die einflussreichsten der rund 850 Pariser Salons. Besonders die „Salons“ der Klaviermanufaktur von Camille Pleyel taten es ihm an, wo er im Februar 1832 sein erstes Konzert Chopins in Paris gab. Es wurde zum Riesenerfolg und fortan stand seiner Karriere als Komponist, Pianist und vor allem Klavierlehrer der Aristokratie nichts im Wege.

Meist blieb er nicht lange in seinen insgesamt neun Pariser Wohnungen, die man beim Gang durch die Ausstellung im Warschauer Chopin-Museum nachempfinden kann. Seinen Lebensunterhalt bestritt er vor allem mit Unterricht am damals sehr beliebten Klavier, das auch Laien durch einfache Tonerzeugung einen unmittelbaren Zugang zur Musik erlaubte. Durch seine guten Kontakte war er bald ein gesuchter und gut bezahlter Klavierlehrer für Schülerinnen und Schüler aus höheren Kreisen. Wegen seines Vaters hatte er Anspruch auch auf die französische Staatsbürgerschaft, die man ihm 1834 zusätzlich verlieh.

Öffentliche Konzerte gab es von Chopin, vergleicht man es mit einem gefragten heutigen Konzertpianisten nicht sehr oft - eines für jedes seiner Lebensjahre. Chopin bevorzugte die intime Atmosphäre der Salons, da in den großen Konzertsälen sein zartes Spiel nicht zum Tragen kam.

Zu seinen Freunden zählten die Dichter Alfred de Musset, Honoré de Balzac, Heinrich Heine und Adam Mickiewicz, der Maler Eugène Delacroix und der Musiker Franz Liszt. Seit der Kindheit pflegte er eine enge Beziehung zu dem gleichaltrigen Julian Fontana, der ihm bis zu seiner Emigration in die Vereinigten Staaten als Kopist, Arrangeur, Sekretär und Impresario diente, mit Verlegern verhandelte und sich um die Alltagsgeschäfte Chopins kümmerte. Nach Chopins Tod veröffentlichte er gegen den Willen des Komponisten, aber mit Zustimmung der Familie einige Werke aus Chopins Nachlass. Auch mit dem schon genannten Camille Pleyel hatte Chopin eine auf gegenseitigem Respekt basierende Zusammenarbeit, die beiden zugutekam. Trotz aller Erfolge und Einbindung in das Kulturleben von Paris und vielen polnischen Freunden sehnte sich Chopin nach seiner Heimat Polen und nach seiner Familie und litt ständig unter Heimweh. Wer seinen Namen Französisch aussprach, was in Frankreich und angesichts des französischen Vaters nur natürlich war, handelte sich den Widerspruch des Künstlers ein, der zeitlebens auf die polnische Aussprache bestand, die eher nach „Shoppen“ klingt.

Ein Winter auf Mallorca in Valledmossa

Majorque Valldemossa Chartreuse Musee Sand Chopin Jardin 17062015 - panoramio

Die Beziehung zu George Sand

George Sand-Denkmal in Paris

CC0 Pixabay

Besonders eng war Chopins Beziehung zu Amandine Aurore Lucile Dupin de Francueil. Man kennt die Urenkelin des Grafen Moritz von Sachsen aber meist nur unter ihrem Aliasnamen George Sand. Er lernte die erfolgreiche Männerkleidung tragende, Zigarren rauchende Schriftstellerin 1836 kennen und reagierte anfangs ablehnend auf diese selbstbewusste, provozierende und widersprüchliche Persönlichkeit. Doch Sand suchte die Beziehung zu dem sechs Jahren jüngeren Musiker und ihr neun Jahre dauerndes Verhältnis wurde zu einer merkwürdigen Liebesbeziehung, die sowohl Phasen des Vertrauens, der Zärtlichkeit und der gegenseitigen Wertschätzung enthielt, wie später Eifersucht, Hass und Misstrauen. In der Reihe ihrer meist jüngeren Liebhaber war Chopin nicht der erste. Das Verhältnis der damals 32-Jährigen zu dem sechs Jahre jüngeren Chopin war von Anfang an von sehr unterschiedlichen emotionalen und sexuellen Bedürfnissen geprägt.

Als ich vor Jahren vor Ort eine Wanderreise auf Mallorca vorbereitete, hatte ich ihren Reisebericht „Ein Winter auf Mallorca“ zur Lektüre dabei. Darin lässt sie die kurze, aber intensive Zeit auf der Insel Revue passieren.

Die Einheimischen beschreibt sie als faul und interessenslos. Sie hätten weder Interesse am Lesen noch an irgendeiner Hausarbeit. Sand genoss die Natur und Chopin komponierte in der Kartause von Valldemossa unter anderem seine Regentropfen-Prélude. Wahrscheinlich würden ohne die beiden frühen Influencer nur ein Bruchteil der heute mehr als 1,2 Millionen Besucher pro Jahr die Kartause in der Serra de Tramuntana besuchen, die zum Teil auch den dortigen Chopin-Museum einen Besuch abstatten.

Wenn das Paar während ihrer Beziehungen nicht die Salons und gesellschaftlichen Veranstaltungen in Paris besuchte, zog es sie zum geerbten Landsitz Sands in Nohant im Herzen Frankreichs, wo Chopin die nötige Ruhe zum Komponieren fand. 1847 zerbrach die Beziehung wegen der über Jahre aufgestauten Konflikte dieser hochsensiblen Charaktere, da George Sand nicht mehr, wie sie es in einem Brief ausdrückte, das Leben einer enthaltsamen Nonne und Krankenschwester eines schwierigen, schwerkranken und launischen Genies führen wollte.

Jane Stirling

Achille Devéria - Édouard Ganche, Frédéric Chopin: sa vie et ses œuvres, Mercure de France, 1913.

Zu viele Konzerte in London und Schottland

Danach verschlechterte sich Chopins Gesundheitszustand zunehmend, da es damals noch keine wirksame Behandlung gegen Tuberkulose gab. Seine Schülerin Jane Stirling, die später auch seinen Pariser Nachlass erwarb, bemühte sich seine immer größer werdende materielle Not zu lindern. Im Februar 1848 gab er sein letztes Konzert in Paris vor einem ausgewählten Publikum von 300 Personen. Kurz danach brach in Paris die Februarrevolution aus, durch die sich Chopin wegen der Unruhen immer unwohler fühlte. Viele seiner Schüler hatten Paris verlassen und seine finanzielle Lage wurde noch schlechter. Stirling ermunterte ihn für eine Zeitlang nach England und Schottland zu reisen und sich dort möglicherweise dauerhaft niederzulassen. Die siebenmonatige Reise kostete Chopin viel Kraft und brachte ihn an den Rand des Zusammenbruchs durch das strapaziöses Besuchsprogramm mit Hauskonzerten.

Eigentlich hätte Chopin damals dringend Ruhe benötigt, doch die verliebte Jane machte sich Hoffnung auf eine Heirat mit Chopin, der ihr aber nur Dankbarkeit für ihre Fürsorge entgegenbrachte sie ansonsten aber unattraktiv und langweilig fand und sich zunehmend eingeengt fühlte.

In London lernte er in den Salons der Londoner Oberschicht Charles Dickens kennen und spielte auf einem Empfang vor Königin Victoria. Später reiste er zu Stirling nach Schottland, wo er in schlechter körperlicher und seelischer Verfassung unter den aufgezwungenen Verpflichtungen zu mehreren Konzerten litt. Manchmal musste man ihn die Treppen hinaufgetragen. Auch nach Rückkehr nach London besserte sich sein Gesundheitszustand nicht und kurz vor seiner Rückkehr nach Paris spielte er noch ein Benefizkonzert aus Gefälligkeit in der Guild-Hall für seine polnischen Landsleute.

Chopin in seinem letzten Jahr

Chopin 1849

Das letzte Jahr und der Tod

Place Vendome in Paris

CC0 Pixabay

Depressiv und mit fast ausgebrauchten Ersparnissen war er auf finanzielle Unterstützung Jane Stirlings angewiesen. Ärzte rieten ihm zu Landluft, doch es half nicht. Seine Hoffnung auf Besserung schwand endgültig, als man ihm eine Tuberkulose im Endstadium diagnostizierte, die Krankheit, die schon seine Schwester Emilia, seinen Vater und zwei enge Freunde dahingerafft hatte. Auch der Besuch seiner Schwester Ludwika brachte nur kurze Besserung. Pariser Freunde und Jane Stirling verschafften ihm seine letzte Wohnung an der Place Vendôme und sorgten dafür, dass Chopin in seinen letzten Lebensmonaten keinen Mangel litt, da er zuletzt mittellos war. Einen Monat vor dem Tod empfing er die Sterbesakramente und beauftragte wenige Stunden vor seinem Tod seinen Landsmann Wojciech Grzymała, nach seinem Tod alle unvollendeten und noch nicht veröffentlichten Partituren, mit Ausnahme der Skizzen zu einer erst posthum veröffentlichten Klavierschule, zu verbrennen.

Sein Arzt entnahm nach seinem Tod das Herz des Komponisten, der darum gebeten hatte, dass seine Schwester es heimlich mit in die Heimat nehmen solle, um es dort von den Priestern der Heilig-Kreuz-Kirche bestatten zu lassen. Die Totenmesse fand in Kirche La Madeleine statt. Das Orchester des Konservatoriums spielte die Orchesterfassung seines Trauermarschs aus der Klaviersonate in b-Moll op. 35 und - auf Wunsch Chopins - Mozarts Requiem bevor der Trauerzug zum Friedhof Père-Lachaise stattfand. Dort streute Jane Stirling die polnische Erde, die Ludovika ihr gegeben hatte, auf das Grab.

Chopin-Verehrung in Polen

Grab für Chopins Herz in der Heilig-Kreuz-Kirche

(c) Michael Ritter

In Polen hatte man zum Zeitpunkt der Umbenennung des Flughafens ein Gesetz über den Schutz des Erbes von Fryderyk Chopin erlassen, dass die Verwendung von Chopins Bild und Nachnamen in Marken durch das Nationale Fryderyk-Chopin-Institut reglementiert, während seine Werke öffentlich zugänglich sind. Nur Produkte von hoher Qualität, die mit Polen assoziiert werden, werden gegen Zahlung einer jährlichen Gebühr und Umsatzanteils erlaubt.

Man begegnet Chopin an vielen Stellen in Warschau. Wer keine Zeit oder Lust auf ein langes Konzert hat, findet an verschiedenen Stellen in Warschau, die mit dem Komponisten in Verbindung stehen, Musikbänke, die alle nach dem Drücken eines Knopfes eines seiner Werke vorstellen.

Beeindruckend ist das zum 100. Geburtstag entstandene Frédéric-Chopin-Denkmal von Wacław Szymanowski im Łazienki-Park, dem größten Park Warschaus, der ein beliebtes Erholungsgebiet der Hauptstädter ist und nicht nur zu den sommerlichen Konzerten am Sonntag einen Besuch lohnt. Das Denkmal zeigt den Komponisten unter einer vom Wind gebeugten masowischen Weide. Leider nicht das Original, dass von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg zerstört und für Waffen eingeschmolzen wurde, ein Schicksal, dass es mit fast allen Kopien teilt. Nach Kriegsende sorgte die massive Verwüstung Warschaus durch die Deutschen für die späte Rekonstruktion.

Reste der Mauer ums Warschauer Ghetto

(c) Michael Ritter

Erkundung des internationalen Warschaus

Die junge Internationalität Warschaus, die ein bisschen an die Aufbruchsstimmung in Berlin nach der Wiedervereinigung erinnert, hat viele Menschen aus dem Ausland in die Stadt gezogen. Teils verbanden sie familiäre Ursprünge, wie bei unseren Guide Antoni Wladyka. Antoni ist in Polen geboren, wuchs dann in Deutschland auf und verwarf nach Abschluss seines Jurastudiums in Bielefeld den Plan Anwalt zu werden und erwarb stattdessen eine Stadtführerlizenz für Warschau. Anfangs sollte es nur ein Hobby neben dem weiteren Studium sein, doch dann entwickelte er sich zu seiner Berufung. Mit Walking Poland möchte er seinen Gästen eine Übersicht über die Stadt bieten.

Bei Antoni ist das mehr als der Bummel über den schon erwähnten Königsweg, auf dem er – nicht nur zu Chopin - Hintergründe über die Paläste und Prachtbauten mit ihrer interessanten Geschichte vermittelt. Dabei erfährt man auch einiges über Nikolaus Kopernikus, den großen aus Polen stammenden Astronomen. Der war zwar viel unterwegs – auch in Polen – aber wohl nie in Warschau. Doch sein von Bertel Thorvaldsen geschaffenes Denkmal steht eindrucksvoll vor der Polnischen Akademie der Wissenschaften und ist das erste große Denkmal, dass man dem Vater des heliozentrischen Weltbilds widmete. Vorbei an den heute vom Präsidenten, den Ministerien, der Universität und Luxushotels genutzten Palästen geht es zum ehemaligen Warschauer Königsschloss und der Altstadt.

Während des Zweiten Weltkriegs machten die Deutschen hier Tabula rasa und hinterließen neun von zehn Gebäuden als Ruinen. Doch die polnischen Restaurateure, die in allen Ländern mit ihrer Fachkenntnis zu Sorgfalt heißbegehrt sind, schafften es, diese weitgehend originalgetreu wieder aufzubauen, wofür die UNESCO sie 1980 in die Liste der Weltkulturgüter aufnahm. Ein Bummel über den Altstadtmarkt, die alte Festungsanlage und die mit netten Lokalen und Restaurants geschmückten Gassen lohnt sich.

In einer davon kam im November 1867 Maria Skłodowska zur Welt. Der Name sagt Ihnen nichts? Bekannt wurde sie durch die Zusammenarbeit mit ihrem französischen Mann Pierre Curie, der – anders als Albert Einstein – darauf bestand, dass seine Frau Marie bei der Vergabe des Nobelpreises berücksichtigt wurde. Warschau hatte sie schon in jungen Jahren verlassen müssen, da dort Frauen nicht an der Universität zugelassen waren und sie deshalb an die Pariser Sorbonne gehen musste. 1903 erhielt das Ehepaar für seine bahnbrechenden radioaktiven Strahlungsexperimenten den Physik-Nobelpreis. 1911 folgte nach dem Tod ihres Mannes bei einem Verkehrsunfall auch noch der Nobelpreis für Chemie. Eine ausgesprochen große Ehre, denn nach Marie Curie hat nur der US-Chemiker Linus Pauling einen zweiten Nobelpreis in einer zweiten Kategorie erhalten. In ihrem Geburtshaus hat man ihr eine Ausstellung gewidmet.

Chopin-Denkmal in Warschau

(c) Michael Ritter

Warschauer Ghetto

Besuch des Warschauer Ghettos

Die junge Internationalität Warschaus, die ein bisschen an die Aufbruchsstimmung in Berlin nach der Wiedervereinigung erinnert, hat viele Menschen aus dem Ausland in die Stadt gezogen. Teils verbanden sie familiäre Ursprünge, wie bei unseren Guide Antoni. Antoni ist in Polen geboren, wuchs dann in Deutschland auf und verwarf nach Abschluss seines Jurastudiums in Bielefeld den Plan Anwalt zu werden und erwarb stattdessen eine Stadtführerlizenz für Warschau. Anfangs sollte es nur ein Hobby neben dem weiteren Studium sein, doch dann entwickelte er sich zu seiner Berufung. Mit Walking Poland möchte er seinen Gästen eine Übersicht über die Stadt bieten.

Bei Antoni ist das mehr als der Bummel über den schon erwähnten Königsweg, auf dem er – nicht nur zu Chopin - Hintergründe über die Paläste und Prachtbauten mit ihrer interessanten Geschichte vermittelt. Dabei erfährt man auch einiges über Nikolaus Kopernikus, den großen aus Polen stammenden Astronomen. Der war zwar viel unterwegs – auch in Polen – aber wohl nie in Warschau. Doch sein von Bertel Thorvaldsen geschaffenes Denkmal steht eindrucksvoll vor der Polnischen Akademie der Wissenschaften und ist das erste große Denkmal, dass man dem Vater des heliozentrischen Weltbilds widmete. Vorbei an den heute vom Präsidenten, den Ministerien, der Universität und Luxushotels genutzten Palästen geht es zum ehemaligen Warschauer Königsschloss und der Altstadt.

Während des Zweiten Weltkriegs machten die Deutschen hier Tabula rasa und hinterließen neun von zehn Gebäuden als Ruinen. Doch die polnischen Restaurateure, die in allen Ländern mit ihrer Fachkenntnis zu Sorgfalt heißbegehrt sind, schafften es, diese weitgehend originalgetreu wieder aufzubauen, wofür die UNESCO sie 1980 in die Liste der Weltkulturgüter aufnahm. Ein Bummel über den Altstadtmarkt, die alte Festungsanlage und die mit netten Lokalen und Restaurants geschmückten Gassen lohnt sich.

In einer davon kam im November 1867 Maria Skłodowska zur Welt. Der Name sagt Ihnen nichts? Bekannt wurde sie durch die Zusammenarbeit mit ihrem französischen Mann Pierre Curie, der – anders als Albert Einstein – darauf bestand, dass seine Frau Marie bei der Vergabe des Nobelpreises berücksichtigt wurde. Warschau hatte sie schon in jungen Jahren verlassen müssen, da dort Frauen nicht an der Universität zugelassen waren und sie deshalb an die Pariser Sorbonne gehen musste. 1903 erhielt das Ehepaar für seine bahnbrechenden radioaktiven Strahlungsexperimenten den Physik-Nobelpreis. 1911 folgte nach dem Tod ihres Mannes bei einem Verkehrsunfall auch noch der Nobelpreis für Chemie. Eine ausgesprochen große Ehre, denn nach Marie Curie hat nur der US-Chemiker Linus Pauling einen zweiten Nobelpreis in einer zweiten Kategorie erhalten. In ihrem Geburtshaus hat man ihr eine Ausstellung gewidmet.

Besuch im quirligen Szeneviertel Praga

Centrum Koneser mit Wodka-Museum

(c) Michael Ritter

Auch wenn es nichts mit Chopin zu tun hat, sollte man Warschau nicht ohne einen Besuch des am anderen Weichselufer gelegenen Stadtteils Praga verlassen. Über Jahrhunderte war die Stadt kulturell, ethisch und religiös sehr mannigfaltig. Praga entging im Zweiten Weltkrieg den deutschen Verwüstungen und ist deshalb der wohl authentischste Bezirk der Stadt. Ein Museum erzählt die Geschichte des Viertels, Gotteshäuser der verschiedenen Religionen versteckten sich im Krieg teils in den Hinterhöfen. Als eine Hauptstraße gilt die Ząbkowska, die Altstadt des Viertels, in der im Sommer zahlreiche Kulturveranstaltungen stattfinden. Die Mała-Straße diente unter anderem Roman Polanski als filmischer Hintergrund für seine Film „Der Pianist”.

Im Centrum Koneser hat man die alte gleichnamige Wodka-Fabrik mit ihrer postindustriellen Architektur sehr gelungen renoviert. Neben dem Google Campus Business Center findet man dort Kneipen. Restaurants, Designerläden und das multimediale Museum für Polnischen Wodka, in dem man viel über die Herstellung dieses wohl polnischsten aller Getränke erfahren kann.

Auch eine andere Fabrikbrache in Praga erstrahlte buchstäblich in neuem Licht: die Soho Factory, einst eine Fabrik für Motorräder, heute haben in den ehemaligen Hallen innovative kleine Theater und das Neon-Museum eine Heimat gefunden. Das Neon-Museum ist einzigartig für Europa und präsentiert mehr als 200 Leuchtreklamen und Aufschriften mit Kultstatus. Wir haben dort David Hill getroffen, der Bermuda-Brite hat das Museum zusammen mit seiner Partnerin Ilona Karwinska gegründet, nachdem er bei einer gemeinsamen Reise die immer spärlicher werdenden Überreste der alten Neonreklamen aus den Jahren des Kalten Kriegs mit ihrem ungewöhnlichen Design sah.

Statt Reklame sollte in der Volksrepublik zentral gesteuerte Leuchtwerbung zum integralen Bestandteil der Architektur werden. Dafür hatte man auch bekannte Grafiker, Künstler und Architekten verpflichtet. Nach dem Zerfall des Ostblocks drohte dieses Erbe unterzugehen.

Erstklassige Küche gibt es übrigens fast nebenan. Im Warszawa Wschodnia hat der in Frankreich, Kanada und der Schweiz internationale Erfahrungen sammelnde Gastronom Mateusz Gessner eines seiner drei meist in alten Industriebauten untergebrachten Restaurants untergebracht. Die Küche ist erstklassig und man kann dort typische alte polnische Gerichte genießen, die er mit französischem Esprit gewürzt hat und über die er ein spannendes, leider derzeit nur auf Polnisch vorliegendes Kochbuch geschrieben hat. „Leb Deinen Traum, aber nie mit einem leeren Magen“, sagt er.

Hill ist Chopin-Fan und liebt es, die kostenlosen sonntäglichen Klavier-Konzerte im königlichen Łazienki-Park zu besuchen, die im Mai 2022 wieder um 12 und 16 Uhr stattfinden sollen und neben David und Stadtführer Antoni jedes Jahr rund 80.000 Zuschauer in das Rund beim Chopin-Denkmal anlocken. Chopin hätte die Atmosphäre dort sicherlich gemocht. Ein Besuch in Warschau lohnt also auf alle Fälle.

(c) Michael Ritter

David Hill im Neon-Museum

(c) Michael Ritter

(c) Magazin Frankfurt, 2024