Harris, Vergeltung

In die Zeit des für Deutschland langsam mit einer Niederlage endenden Zweiten Weltkriegs entführt uns Robert Harris in seinem neusten Buch. Im November 1944 steht das Deutsche Reich vor der Niederlage. Außer strammen Nazis und Querdenkern glaubt kein aufmerksamer Beobachter mehr an einen Sieg, dennoch setzt Deutschland jetzt mehr als je zuvor in einer Großoffensive seine modernste Waffe ein – die in Peenemünde von Wernher von Braun und seinen Team entwickelte V2. Der später in den USA als einer der Gründer der NASA gefeierte Wissenschaftler, dem man dort im Wettkampf mit der Sowjetunion auch seine Verstrickung mit den Nazis verzieh, hatte nach Peenemünde die Produktion der V2 in Mittelbau-Dora am Harz mit der Hilfe von Gefangenen aus den Konzentrationslager vorangetrieben. Rund ein Drittel der 3.000 ballistischen Raketen mit schwerem Sprengkopf wurden auf London und Umgebung abgeschossen, wo sie, da sie Radar und Aufklärer nicht orten können, wie aus dem Nichts mit Überschallgeschwindigkeit auf die Stadt herabstürzten.

Der Ingenieur Rudi Graf hatte schon als Penäler mit seinem Freund Wernher von Braun davon geträumt, einmal eine Rakete zum Mond zu schicken und ihn dann bei der Forschung und beim Bau der V2 unterstützt. Jetzt findet er sich im besetzten Holland wieder, wo er die technische Aufsicht über die Abschüsse der Raketen hat. Graf ist vom Krieg längst desillusioniert und inzwischen ermittelt ein NS-Führungsoffizier wegen Sabotageverdacht gegen ihn.

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals entkommt Kay Caton-Walsh, die als Offizierin im Frauenhilfsdienst der britischen Luftwaffe Dienst tut, nur knapp einem V2-Einschlag auf das Haus, in dem sie sich mit ihrem Geliebten trifft.

Dabei gibt es Tote und Verwundete, auch ihr Freund wird eingeklemmt. Als kurz darauf bei einem weiteren Einschlag in einem Kaufhaus 160 Frauen und Kinder von einer der Raketen getötet werden, meldet sie sich freiwillig zu einer lebensgefährlichen Mission auf dem Festland und landet kurz darauf zusammen mit Kameradinnen im befreiten Belgien. Dort sollen die Soldatinnen anhand der Flugbahn der Raketen deren mobilen Startplätze ausfindig machen und zerstören. Das Schicksal wird Kay und Rudi schließlich aufeinandertreffen lassen.

Bevor Robert Harris Romanautor wurde, war der 63-jährige als Reporter und Redakteur tätig. Nach seinem Studium in Cambridge arbeitete er als Reporter für die BBC und als Redakteur für den „Observer“. Der in Nottingham geborene Autor wurde 2003 als bester Kolumnist mit dem „British Press Award“ für seine Arbeit beim „Daily Telegraph“ und der „Sunday Times“ ausgezeichnet. Neben seinen Romanen, darunter Bestseller wie „Vaterland“, „Enigma“ und „Imperium“, schreibt er auch Sachbücher. Auch seine Romane »Pompeji«, »Ghost«, »Titan«, »Angst«, »Intrige«, »Dictator«, »Konklave«, »München« und zuletzt »Der zweite Schlaf« wurden internationale Bestseller. Seine Zusammenarbeit mit Roman Polański bei der Verfilmung von »Der Ghostwriter« brachte ihm den französischen »César« und den »Europäischen Filmpreis« für das beste Drehbuch ein. Auch Polanskis Verfilmung von »Intrige« erhielt bei den Filmfestspielen in Venedig 2019 den großen Preis der Jury, den Silbernen Löwen. In seinen Büchern verbindet er geschickt Fiktion und historische Fakten und entführt die Leser so in andere Welten und Zeiten. Heute lebt der Autor mit seiner Frau und vier Kindern in Berkshire.

Robert Harris, Vergeltung, Heyne, Hardcover, 368 Seiten, ISBN 978-3453272095, 22 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024