Berlioz, Harold en Italie, Slatkin

Childe Harolds Pilgerfahrt war wohl eines der bekanntesten und erfolgreichsten Werke des britischen Dichters Lord Byron. Dabei sollte man beim Wörtchen "childe" nicht zu sehr an das englische Wort für Kind denken, denn der Titel geht auf die mittelalterliche Bezeichnung des Schildknappen zurück, der ein junger Anwärter auf den Ritterstand ist. In langen Versen erzählt Byron die Reisen des jungen Harold, der enttäuscht von seinem bisherigen Luxusleben Zerstreuung in fremden Ländern sucht. Melancholie und Enttäuschung derjenigen widerspiegelnd, die der nachrevolutionären und nachnapoleonischen Kriege müde waren. Es hat stark autobiografische Züge, denn es beruht auf Lord Byrons Reisen über Portugal, Spanien und Malta ins Osmanische Reich und später tritt Byron selbst auf und nutzt Childe Harold als Sprachrohr für eigene Überzeugungen und Ideen. Der 15 Jahre jüngere Hector Berlioz, hat sich mit Lord Byron und dessen düster-melancholischen Helden identifiziert, was als „Byronic Heroes“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist.

Auch er reiste durch Italien, was für ihn zum Schlüsselerlebnis wurde, bei dem er im Namen des Herrn „Lord Byron“ durch dessen Regionen pilgerte und selbst zu „Childe Harold“ wurde. Als ihm Nicolo Paganini, den Auftrag erteilte, ein Werk für seine neu erworbene Stradivari-Viola zu schreiben, machte er sich an die Arbeit zu seiner Symphonie „Harold in Italy“. Paganini war von dem Werk anfangs nicht gerade begeistert, da er den musikalischen Anteil der Viola zu gering erachtete, um seinen künstlerischen Fähigkeiten hinreichend gerecht zu werden. Doch auch nach dem Ende der Zusammenarbeit setzte Berlioz die Arbeit am Werk fort. Bei der Uraufführung erhielt zwar der Pilgermarsch ein Encore, doch sonst war Berlioz mit dem Dirigat seines Kollegen Narcisse Girard unzufrieden und entschied künftig seine Werke selbst zu leiten. Paganini hörte das Werk erst vier Jahre später und war davon so begeistert, dass er Berlioz auf diee Bühne zog, seine Hände vor dem wild applaudierenden Publikum und Musikern küsste und ihm einige Tage später 20.000 Francs mit einem Dankesbrief zukommen ließ.

Wegen der Pausen der obligaten Viola, die häufig als „Zuschauerrolle“ gedeutet wurden ist das Stück auch als „längster Bratscherwitz“ aller Zeiten bekannt.

Leonard Slatkin, ein Meister „instrumentaler Gestaltungskunst und im Raffinement der Texturen kaum zu überbieten“ wie Pizzicato schrieb, hat die Sinfonie nach einer früheren mit dem Grammy ausgezeichneten Einspielung der „Symphonie fantastique“ mit dem Orchestre National de Paris bei Naxos auf Blu-ray Disc herausgebracht. Slatkin ist momentan Musikdirektor des Detroit Symphony Orchestra, des Orchestre National de Lyon und erster Gastdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra. Für seine Einspielungen wurde er bereits siebenmal mit dem Grammy ausgezeichnet und 64mal dafür nominiert und auch die neue Einspielung mit Lise Berthaud an der Viola hat das Zeug dort wieder gut mithalten zu können.

(c) Magazin Frankfurt, 2024