Nixey, Heiliger Zorn

Wenn sich heute die christlichen Bildungsbürger in aller Welt über die Gräueltaten und unnötigen Zerstörungen durch religiöse Terrorgruppen wie den IS, Boko Haram oder die Taliban beschweren, sollten sie sich an die eigene Nase fassen, denn deren Taten sind keinesfalls schlimmer als die der frühen radikalen Christen. Da wurden Statuen zerstört oder mit dem Kreuz versehen, missliebige Bücher und Menschen verbrannt wie im Dritten Reich.

Die britische Historikerin und Journalistin Catherine Nixey zeichnet in ihrem in England zum "Buch des Jahres" ausgezeichneten Buch nach, wie das Römische Reich einst ein vielfältiges und buntes religiöses Leben ermöglichte – bis unter den ersten christlichen Kaisern alles anders wurde: Mit aller Macht versuchten die frühen Christen, Andersgläubige zu bekehren, und erwiesen sich dabei nicht nur als extrem intolerant, sondern auch als äußerst gewalttätig. Im ganzen Imperium zertrümmerten sie Tempel und Kultgegenstände, verbrannten Bücher, jagten Philosophen aus den Städten und verfolgten diejenigen, die weiter den alten Göttern opferten.

Es waren vielfach die heute bewunderten Kirchenväter, die sich in ihrer Entschlossenheit kaum vom IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi unterschieden. Im Zeitalter des Übergangs im 4./5. Jahrhundert waren der Heilige Martin, Ambrosius von Mailand, Augustinus und eine Reihe anderer Kirchenväter aktiv, die Andersgläubige nicht überzeugen, sondern überwältigen wollten und den Kampf gegen Andersgläubige und "Heiden" auch mit Gewalt vorwärtstrieben, um die Seelen dieser "Ungläubigen“ zu retten. Der ägyptische Abt Schenute wird von Nixey mit den Worten zitiert ‚Für die, die Christus haben, gibt es kein Verbrechen‘. Schon in der Bibel finden sich im fünften Buch Mose Stellen, die für sich sprechen: "Zerstört alle Orte, da die Heiden, die ihr vertreiben werdet, ihren Göttern gedient haben, es sei auf hohen Bergen, auf Hügeln oder unter grünen Bäumen, und reißt um ihre Altäre und zerbrecht ihre Säulen und verbrennt mit Feuer ihre Haine, und die Bilder ihrer Götter zerschlagt, und vertilgt ihren Namen aus demselben Ort.“ Diesen sakrosankten Anweisungen der Bibel zu folgen, konnte das ein Verbrechen sein?

In "Heiliger Zorn" zeichnet Nixey ein gänzlich neues und zutiefst erschütterndes Bild der frühen Christen – die sich als die wahren Barbaren gerierten. Damit hat sie eine längst überfällige Debatte über die Kriege des Christentums über die Antike ausgelöst. Packend enthüllt sie die christlichen Verbrechen und Gräueltaten gegen die griechisch-römische Kultur, die hinter dem Triumph des Christentums stecken und mit ihrem Aufzwängen des "wahren Glaubens" zum Untergang der Antike führten. Catherine Nixey hat an der Cambridge University Alte Geschichte studiert und mehrere Jahre lang unterrichtet, bevor sie Journalistin für The Times wurde. Sie lebt mit ihrem Mann in London. Dies ist ihr erstes Buch und wurde von Daily Telegraph, Spectator, Observer und dem BBC History Magazine zum »Book of the Year« gewählt sowie mit dem Royal Society of Literature Jerwood Award ausgezeichnet.

Zwiespältige Gefühle ruft die oft dramatisierende journalistische Aufbereitung der Historie durch Catherine Nixey hervor, bei der – schon wegen der teils schlechten Quellenlage und der lange zurückliegenden Zeit – nicht immer belegbare Fakten die Grundlage für das Geschriebene bilden, wobei uns manchmal der Spiegel-Autor Relotius in den Sinn kommt, der für eine gute Geschichte oft ein Auge zugedrückt hat, wenn es um belegbare Fakten ging und einige belegbare Tatsachen konsequent in seinen Geschichten ausblendete. Auch ihn hatte man hochgeehrt. MR

Catherine Nixey, Heiliger Zorn - Wie die frühen Christen die Antike zerstörten, DVA, Hardcover, ISBN 978-3421047755. 25 Euro

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