Schmidt, Kalmann

Operettenfreunde mögen bei Kalmann erst einmal an den ungarischen Komponisten denken, der der Welt vor rund 100 Jahren Werke wie "Die Csárdásfürstin" schenkte, doch dieser schreibt sich anders. Auch der Name des aus Graubünden stammenden Bauernsohns Joachim B. Schmidt führt nicht sofort weiter. Als der Buchkritiker Denis Scheck ihn kürzlich interviewte, musste er dafür nach Island fliegen, denn dorthin hat es den 39-jährigen Schweizer dauerhaft verschlagen. Angefangen hatte seine Begeisterung für Island, wie er erzählte, bereits in der Schulzeit, als ihm 1997 seine Patentante eine Reise in ein europäisches Land seiner Wahl versprach. Da er im Unterricht gerade Island durchgenommen hatte, entschied er sich für den skandinavischen Inselstaat - und war begeistert. Er fand Freunde im Land, kehrte in den folgenden Jahren immer wieder nach Island zurück und probierte dann, ob er mit den harten und dunklen Wintern in Island zurechtkommt, indem er ein ganzes Jahr inklusive des Winters dort verbrachte. Er konnte damit leben. Verliebt in Land und Leute zog er 2007 ganz in seine Wahlheimat und erwarb deren Staatsangehörigkeit.

Schmidt arbeitete anfangs als Knecht, Gärtner, Trockenmaurer, Kellner, Hilfskoch, Molkereiarbeiter und Rezeptionist und lebt zwischenzeitlich als Journalist und Touristenführer in Reykjavik. Ganz überzeugt sind seine neuen Landsleute noch nicht, dass ein Zugereister isländische Krimis schreiben kann, obwohl er in den letzten Jahren mit einer Kurzgeschichte reüssierte, doch als Mitglied des isländischen Schriftstellerverbands gibt er die Hoffnung darüber nicht auf.

Sein Protagonist Kalmann ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, einem 168-Einwohner-Kaff im äußersten Nordosten Islands, nur zwei Kilometer entfernt vom Polarkreis. aber 634 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Reykjavik.

Kalmann hat dort alles im Griff, obwohl sein Großvater, der sich bisher um ihn gekümmert hat, in der Nähe in ein Seniorenheim musste. Für Kalmann ist das aber kein Grund zur Sorge. Tag für Tag wandert er über die weiten Ebene um das fast ausgestorbene Dorf, jagt Polarfüchse und legt Haiköder im Meer aus, um den Grönlandhai, der auch unter dem Eis leben und ein Alter von mehreren hundert Jahren erreichen kann, zu fangen und zu Hakarl, fermentierten Gammelhai zu verarbeiten. Doch in Kalmanns Kopf laufen die Räder manchmal rückwärts. Als er eines Winters eine Blutlache im Schnee entdeckt, überrollen ihn die Ereignisse. Mit seiner naiven Weisheit und dem Mut des reinen Herzens wendet er alles zum Guten. Kein Grund zur Sorge...

Schmidt gelang damit ein wundervoller warmherziger und hintergründiger Roman, für den er aus seinen verschiedenen Tätigkeiten in den vergangenen Jahren profitieren konnte. Anrührend erzählt er die Geschichte des kräftigen aber sehr gutmütigen Naturburschen, der immer mit Cowboyhut und Colt durch die Gegend läuft und den manche für einen armen Deppen halten. Weit gefehlt. Man lebt und fühlt mit Kalmann und freut sich, wenn es letztendlich doch vielleicht zu einem guten Ende kommt.

Joachim B. Schmidt, Kalmann, Diogenes, Hardcover, 352 Seiten, ISBN 978-3257071382, 22 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024