Genussreiches Südniedersachsen

Das Gänseliesel ist das Wahrzeichen der Stadt
(c) Michael Ritter
Das Leine- und Wesertal und die darum herumliegenden Höhenzüge mit ihren Wäldern prägen die malerische Landschaft Südniedersachsens. Zentrum der Region ist Göttingen, das mit der Georg-August-Universität die größte und älteste Hochschule Niedersachsens beherbergt. Mit dem angrenzenden Nordhessen und dem meist zu Thüringen gehörenden Eichsfeld liegt die Region ziemlich mittig und damit sehr zentral in Deutschland. Kein Wunder, dass in den Jahren nach der Wende fast alle Logistikunternehmen dort ihre Verteilzentren aufgebaut haben. |
Als nach dem Krieg die mit Stacheldraht und Minen gesicherte Zonengrenze das Land durchschnitt, rutschte die Region in die wirtschaftliche und politische Randlage ab. Vielleicht gut so, denn so verharrten beiderseits der Grenze zahlreiche kulturelle Schätze im Dornröschenschlaf und wurden nur zum Teil für den Tourismus erschlossen. Apropos Dornröschen: das Märchen stammt aus der Sammlung der Gebrüder Grimm, die es mit der jenseits der Weser liegenden Sababurg verknüpften. Überhaupt spielen viele ihrer gesammelten "Kinder- und Hausmärchen" in der Region. |

Im alten Karzer im Göttinger Rathauskeller
(c) Michael Ritter
Universitätsstadt Göttingen
Als Startpunkt für einen Besuch bietet sich Göttingen an. Die sympathische Universitätsstadt ist mit Zug und PKW gut zu erreichen und bietet einige gute Hotels. Traditionalisten werden sich im Romantik-Hotel Gebhards wohl fühlen, das lange Zeit als erstes Haus am Platze brillierte und zahlreiche Bundespräsidenten und natürlich auch Nobelpreisträger zu seinen Gästen zählt, bei anderen steht wohl das ebenso nah am Bahnhof gelegene neue Design Hotel FREIgeist höher im Kurs. |
Die 1732 von Gerlach Adolph von Münchhausen im Auftrag des auch über Großbritannien und Irland herrschenden König Georg II. im damals stark von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs leidenden Göttingen gegründete Hochschule, war damals mit fast 1.000 Studenten eine der größten Universitäten Europas und auch heute ist sie mit gut 30.000 Studierenden und fast 13.000 Mitarbeitern der wichtigste Wirtschaftsfaktor für die rund 116.000 Einwohner der Leinestadt. |

Reichskanzler Otto von Bismarck
(c) Bundesarchiv
Der spätere Reichskanzler im Universitäts-Karzer
Auch der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck war als 17-jähriger alles andere als ein folgsamer Student. "Ich langweile mich auf eine ganz unerhörte, polizeiwidrige Weise; man lebt hier ungemein beschränkt, auf jeden Schritt beobachtet von Pedellen, Polizisten, Landdragonern", beklagter es sich in einem unveröffentlichten Brief aus dem Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung gegenüber seinem Bruder Bernhard, den der Bismarck-Biograf Volker Ullrich in einem Beitrag zitierte. Bismarck war ein geeignetes Ziel für seine Beobachter, die Unruhen von Seiten der Studenten befürchteten. Er versoff sein Geld, schwänzte Vorlesungen und musste sich während seines Studiums und seiner Zeit in der schlagenden Verbindung insgesamt neunmal wegen verbotener Duelle und Rauchen in der Öffentlichkeit vor dem Universitätsrichter verantworten, die ihn zu insgesamt 18 Tagen im früheren Karzer im inzwischen abgerissenen Konzilienhaus einsitzen ließ. |
Aus dem Corps Hannovera wird er mit den Worten "Ich werde entweder der größte Lump oder der erste Mann Preußens" zitiert. Nach seinem Umzug nach Berlin war Göttingen für den Fürsten ein rotes Tuch und auch Widmungen konnten ihn nicht dazu veranlassen, die Universitätsstadt, die ihn fast drei Wochen einsperrte, ein weiteres Mal zu besuchen. |

Burg Hardenberg und das Burghotel
(c) Michael Ritter
Burg Hardenberg und die Kunst der Destillation
Der Stammsitz der verzweigten Adelsfamilie liegt einige Kilometer nördlich von Göttingen in Nörten-Hardenberg, wo unterhalb der verfallenen Burg im Schloss noch heute die Grafen von Hardenberg residieren. In ganz Deutschland ist die Familie durch ihre bereits 1700 gegründete Kornbrennerei bekannt, deren Weizenkorn mit dem Keilerkopf zu den Traditionsspirituosen des Landes gehört. Hatte man vor einigen Jahrzehnten noch damit geliebäugelt, das Brenngeschäft aufzugeben, da es bei den niedrigen Preisen der Konkurrenz keine ausreichende Lukrativität versprach, geht es nach der Wiedervereinigung, anlässlich derer der Graf die sächsische Traditionsbrennerei Wilthen kaufte und in den Betrieb integrierte. Deren Wilthener Goldkrone ist mit 26 Millionen verkauften Flaschen pro Jahr die meistverkaufte deutsche Spirituose. Schon 1971 hatte Hardenberg die traditionsreiche Danziger Likörfabrik Der Lachs übernommen, deren Danziger Goldwasser mit seinen Blattgoldflocken europaweit seine Liebhaber hat. |
Nicht alle Zutaten des Gins sind bekannt, aber Deutscher Ingwer, Zitronenverbene und eine besondere Fuchsienart sind unter den Botanicals. Der Ingwer verleiht dem 44 % vol. starken Gin eine leichte Schärfe, aber die verwendeten frischen Früchte machen ihn zu einem spritzigen Cocktailpartner. In der Brennerei in Nörten-Hardenberg hat man dafür in den vergangenen Jahren in neue Brennkessel investiert, in denen der Von Hallers Gin besonders langsam und schonend destilliert wird, um den Geschmack zu verfeinern. |

Außergewöhnliche Pacific Rim-Küche im Freigeist
(c) Michael Ritter
Freigeister in Südniedersachsen
Das FREIgeist ist das neuste Mitglied einer kleinen Kette von Hotels, die Graf von Hardenberg im vergangenen Jahrzehnt teils mit regionalen Partnern aufgebaut hat, die das traditionelle 5-Sterne Relais & Châteaux Hardenberg Burghotel mit seinem Golfresort und der gepflegten Reitanlage modern ergänzen. Auch kulinarisch geht man in Göttingen mit dem Intuu ungewohnte Wege, denn Küchenchef Alexander Zinkes ist seit seinem frühen Berufsleben als Koch ein Fan der lebendigen Nikkei-Küche, die das Beste aus dem Land des Lächelns und dem fernen Lateinamerika vereint. Gelungen ist ihm ein spannender Mix mit Fusions-Küche vom Feinsten, die Gault & Millau schon kurz nach der Eröffnung 2019 mit 15 Gault & Millau Punkten auszeichnete. Dabei werden die Teller als Sharing Plates zum gemeinsamen Teilen serviert, die das Herbarium mit passenden Weinen und Cocktails begleitet.

Die Beckensaline
(c) Michael Ritter
Die Bedeutung des Salzes
Zinkes verwendet auch eine Spezialität aus Göttingen in seiner Küche: das Salz der Saline Louisenhall. Inzwischen sind leider alle anderen noch in Europa existierenden Pfannensalinen verschwunden und nur noch der in die Jahre gekommene Backsteinbau produziert nach wie vor Salz wie vor hundertfünfzig Jahren. Jörg Bethmann, der die Leitung der Saline seiner Familie vor einem guten Vierteljahrhundert übernahm und seine inzwischen ins Geschäft eingestiegenen Söhne sehen ihren Betrieb als ein Relikt aus einer anderen Zeit. Groß ist die Produktion nicht: „Im Lauf eines Jahres produzieren wir gerade mal so viel Salz wie die Großen unserer Branche vor der Frühstückspause“ scherzt man, ist aber zugleich stolz auf das unvergleichliche Salz, das aus der konzentrierten Sole aus gewonnen wird, die man aus 450 Metern Tiefe ans Göttinger Tageslicht fördert. In riesigen flachen Pfannen heizt man sie dann richtig auf, bis sich das Salz kristallisiert und abgeschöpft werden kann – ein Verfahren, das andernorts schon seit dem Mittelalter betrieben wird. |
Besonders im Fernhandel hatte das „weiße Gold“ seine Bedeutung. Die Salzstraßen auf denen edle und sehr begehrte Waren transportiert wurden bescherten den an der Route liegenden Städte oft einen Aufschwung. Auf den Märkten fanden die fahrenden Händler Kunden nicht nur in den Grafen, Klöstern und Bischöfen der Region gute Kunden. Damals gab es noch keinen Euro als weitverbreitetes Zahlungsmittel und oft diente Silber und Gold als Zahlungsmittel, die Geldwechsler kenntnisreich und lukrativ in die landesüblichen Münzen tauschten. |

Soumela Alrutz in ihrem Garten
(c) Michael Ritter
Melis Essbare Blüten und das Blütensalz
Wenige Kilometer westlich der Saline lebt jenseits der Nord-Süd-Autobahn Soumela Alrutz im ländlich geprägten Ortsteil Groß-Ellershausen. Die gebürtige Griechin liebt Blumen und schätzt das Salz der Saline Louisenhall, das sie mit ihren essbaren Blüten in Blütensalz verwandelt. Blumen auf dem Teller sehen nicht nur attraktiv aus, sondern haben auch ihre geschmacklichen Besonderheiten und erobern deshalb völlig zurecht mit ihren gesunden Inhaltsstoffen die frische Genießerküche. Gerade jetzt in Zeiten von Corona, wo der Restaurantbesuch lange Zeit ausfallen musste, empfinden mehr Menschen Freude am eigenen Herd und lernen dabei die Alltagsküche durch innovative Rezepte zu einem Erlebnis zu machen und durch neue Geschmacksvariationen aufzupeppen. |
Besonders attraktiv ist dabei die Goldmelisse, Indianernessel oder Monarde, die schon im Garten mit ihrem Duft die Sinne des Gartenfreunds betört. Manche bereiten aus ihren tiefgrünen, lanzettlich ausgeprägten Blättern Tee, der vom Geschmack an Earl Grey erinnert. Die prächtigen scharlachroten Blüten sind etagenartig angeordnet und bieten einen schönen Kontrast zum grünen Laub. Wenn sie im frühen Juni zu blühen beginnt, läutet ihr Duft den beginnenden Gartensommer ein, der bis Ende Juli mit einem wahren Feuerwerk der Blüten einhergeht. Mit einer Größe bis zu 1,50 Metern ist sie eine vornehme Zierde jedes Gartens. |

Brotmuseum in Ebergötzen
(c) Michael Ritter
Besuch bei Max und Moritz in Ebergötzen
Ein kurzer Ausflug bringt uns über die Deutsche Märchenstraße ins Dorf Ebergötzen, in dem der Zeichner und Dichter Wilhelm Busch Mitte des 19. Jahrhunderts den größten Teil seiner Schulzeit verbrachte und dessen Bachmannsche Mühle, die dem Vater seines Freundes Erich gehörte und später in seinen Lausbubengeschichten um Max und Moritz eine zentrale Rolle spielte. |
Doch die Wilhelm-Busch-Mühle ist nicht die einzige Sehenswürdigkeit des kleinen Ortes. 2004 zog das Europäische Brotmuseum mit seiner kulturhistorischen Sammlung „Vom Korn zum Brot“ in das ehemalige Forstamt bei der alten Wasserburg Radolfshausen. Eine alte Bockwindmühle und eine Tiroler Wassermühle zogen damit ebenfalls um und machen das Örtchen und den nahe liegenden Seeburger See mit seinem Naturseefreibad und den zahlreichen Radfahr- und Wanderwegen zu einem beliebten Ausflugs- und Urlaubsziel. |

Bierfass im Einbecker Keller
(c) Michael Ritter
Einbeck Heimat des Bockbiers
Rund 40 Kilometer nördlich von Göttingen liegt Einbeck, das sich mit seiner hübschen Fachwerkkulisse gerne als Schmuckstück in der Mitte Deutschlands tituliert. Zwischen Weserbergland, Harz und Solling gelegen, ist Einbeck ebenso wie Göttingen eine ehemalige Hansestadt. Mit dem Stadtrecht wurde dem kleinen Ort 1240 auch das Baurecht für seine Bürger verliehen und wurde durch sein Bier weit über die Stadtgrenze bekannt. Das obergärige Bier hatte durch seinen zwei- bis dreimal so hohen Preis bald den Ruf als Luxusgetränk und wurde bis nach Italien exportiert. Damit es auch bei langen Reisen haltbar blieb, hatten die Brauer die Stammwürze soweit erhöht, dass es ein schweres und sehr alkoholreiches Bier wurde und verwendeten neben dem üblichen Gersten- auch Weizenmalz. Auch dem Reformator Martin Luther wurde bei seiner Vorladung vor Kaiser Karl V. und die Reichsfürsten auf dem Reichstag in Worms, der sich im April zum 500mal jährte und für den widerspenstigen Theologen wegen seiner ultimativen Verweigerung des Widerrufs seiner Thesen zur Reichsacht führte, ein Krug Einbecker kredenzt, den er als „der beste Trank, den einer kennt, der wird Einbecker Bier genennt“ lobte und vier Jahre später bei seiner Hochzeit mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora gleich ein paar Fässer besorgte. |
Es sollte allerdings noch bis 1794 dauern, dass man die Braurechte der Einbecker Bürger zum Einbecker Brauhaus zusammenfasste. Nach einer Zeit als Teil einer Großbrauerei ist es seit einem knappen Vierteljahrhundert im Besitz einer privaten Investorengruppe, die auch noch einige andere kleinere Brauereien der Region übernahm. |

Senfmüller Rainer Koch
(c) Michael Ritter
Der Bankdirektor und der Senf
Auch Rainer Koch hatte Anfang vergangenen Jahres nicht damit gerechnet, dass sein gerade frisch eröffnetes Kontor in der Einbecker Knochenhauerstrasse in denen er seine Verkostungen durchführen wollte, so bald wieder schließen muss. Der ehemalige Bankdirektor hatte sich inmitten in der historischen Altstadt zusammen mit ein paar Freunden vor ein paar Jahren seinen Lebenstraum verwirklicht. Inzwischen ist es als Einziger übriggeblieben, wenn es darum geht, Einbecker Senfspezialitäten einem breiten Liebhaberkreis bekannt zu machen. selbstverständlich auch zum Verkosten. Senfsaat, Honig und andere für unsere Senfe verwendeter regionaler Rohstoffe erhält der Besucher ebenso, wie Senfliteratur und Anregungen rund um den Senf und genussorientierte Geschenkideen. Zusammen mit anderen Herstellern bietet Koch in seinem Kontor hochwertige, regionale Produkte unter der gemeinsamen Marke "Kostbares Südniedersachsen " an. Es gibt also noch vieles zu erkunden in diesem lieblichen und nicht vom Massentourismus überlaufenen Teil Südniedersachsens. Entdecken Sie es selbst.

Leckere Küchlein
(c) Michael Ritter
(c) Magazin Frankfurt, 2023